Die WordPerfect-Erfolgsstory

K. Keil


     

Als sich das Rechenzentrum der Universität vor Jahren für das Textverarbeitungssystem WordPerfect entschied, tat man das durchaus im Bewußtsein, damit eines der führenden Produkte zu wählen. Von verschiedenen Seiten vernehmen wir jedoch immer wieder Klagen über die fehlende Unterstützung des Konkurrenten MS Word. Abgesehen davon, daß dem Rechenzentrum die personellen Möglichkeiten fehlen, ein drittes Textsystem so zu unterstützen, wie das derzeit mit WordPerfect und TEX geschieht, ist auch eine Notwendigkeit dazu u.E. nicht gegeben.

Als Grund der Klagen vermuten wir deshalb eher einen ungenügenden Kenntnisstand zur Bedeutung und Verbreitung von WP. Um diese Lücken zu füllen, sollten Sie sich den folgenden Artikel, betitelt mit "Die Geschichte der WordPerfect Corporation" zu Gemüte führen. Er erschien in der Novemberausgabe der Rechenzentrumszeitschrift RZINFO der Universität des Saarlandes in Saarbrücken. Als Autor zeichnet Herr Matthias Schüler, mit dessen freundlicher Genehmigung der Nachdruck erfolgt, verantwortlich.

Wie viele der großen Software-Häuser entwickelte sich auch die WordPerfect Corporation aus einer Art "Garagen"-Firma.

Es begann 1977, als der Informatikprofessor Alan C. Ashton den Entwurf für ein neues Textverarbeitungsprogramm niederschrieb, was allgemein als Weiterentwicklung des damaligen Wang-Standards galt.

Durch seine Lehrtätigkeit an der Brigham Young University im US-Bundesstaat Utah wurde er auf einen talentierten Studenten aufmerksam, der zu dieser Zeit eine Diplomarbeit anfertigte. Darin sollte bewiesen werden, daß sich die Bewegungen einer Marschkapelle innerhalb eines Football-Stadions aus jeder Perspektive simulieren lassen. Abgesehen von der Thematik waren die Programmiertechniken sehr interessant, die zur Lösung des Problems drei DataGeneral Rechner verknüpften.

Mit diesem Studenten, er hieß Bruce W. Bastian, tat sich Alan C. Ashton zusammen und gründete im Jahre 1979 ein Unternehmen. Ihr erstes verkaufsfähiges Produkt, die Textverarbeitung "P-Edit", lief jedoch nur auf Data General Minicomputern. Darüber muß man sich nicht wundern, denn der einzige zur Verfügung stehende Entwicklungsrechner war ein DG-Computer und mußte außerdem noch mit der örtlichen Stadtverwaltung geteilt werden. Daß diese Verwaltungsorgane gleichzeitig die ersten Nutzer von "P-Edit" waren, versteht sich fast von selbst. Es entstand dadurch ein fast ideales Verhältnis zwischen Programmierer und Anwender, denn ein permanentes Feedback ermöglichte eine sehr schnelle Optimierung der Software, wobei zwangsläufig Bedienerfreundlichkeit und Leistungsstärke in den Mittelpunkt gerückt werden mußten.

Schon im März 1980 erschien ein völlig neues Produkt, das erstmals den Namen WordPerfect erhielt. Da dieses Produkt aber weiterhin nur auf DataGeneral Rechnern funktionierte, blieben die Kunden auf den Nutzerkreis dieses Maschinentyps beschränkt. Dennoch arbeiteten Ende 1980 bereits 85 Lizenznehmer mit WordPerfect, was immerhin soviel einbrachte, dass man sich einen eigenen Entwicklungsrechner leisten konnte. Außerdem wurden zwei weitere Mitarbeiter eingestellt: W.E. Peterson (Buchhaltung) und Dan Lunt (Programmierung).

Nun gingen die Arbeiten zügiger voran. Neben WordPerfect 1.1 erschienen 1981 noch zwei weitere Anwendungen (WordPerfect Info und DG Sorter). Die Zahl der Kunden wuchs auf 260, was für das laufende Jahr einen Umsatz von US$ 850.000,- bescherte. Diese Situation erlaubte es Peterson und Lunt, nur noch für die Vermarktung tätig zu sein. Der eigentliche steile Aufstieg begann jedoch erst mit Einführung der ersten IBM Personal Computer 1981.

Dank des richtigen Gespürs, welch Potential in dieser neuen Technologie steckte, nahm das Team um Ashton sofort die Entwicklung einer WordPerfect-Version für PCs in Angriff, wobei das eben fertiggestellte WordPerfect 2.1 für DG-Rechner die Ausgangsbasis bildete. Im November 1982 war es dann soweit. Das erste WordPerfect für den PC hatte die Versionsnummer 2.2 und war ein voller Erfolg.

So schnell wie sich der Personal Computer in den USA verbreitete, so rasch wuchs quasi auch die Zahl lizenzierter WordPerfect-Anwender. Mit Einfuehrung der Version 3.0 1983 konnte man bereits einen Umsatz von 3,5 Mio. US$ verbuchen. Dahinter verbargen sich immerhin 11.020 Kunden. Durch diese positive Entwicklung stieg die Zahl der im Unternehmen Beschäftigten jetzt bereits auf 47. Vom Erfolg angespornt, trat die WordPerfect Corporation 1983 an, auch Märkte außerhalb der USA zu erobern. Die ersten nicht-englischsprachigen Versionen (vor allem Finnisch, danach auch Französisch, Norwegisch und Deutsch) fanden in Europa eine zunehmende Anhängerschar.

Nach dem Siegeszug von WordPerfect (inzwischen Version 4.1) für den IBM-PC, entstand 1985 das erste Produkt für den Apple Ile/Ilc. 1986 erreichte die Textverarbeitung WordPerfect 4.2 schließlich eine Spitzenstellung auf dem Markt - in den USA sowieso, aber auch in manchen europäischen Ländern. Die Marktanteile in Skandinavien und in den Niederlanden lagen z.T. über 70%. WordPerfect 4.2 wurde vom US-Magazin "PCWorld" mehrfach mit dem "World Class Award" für die beste Textverarbeitung ausgezeichnet. Übrigens erhielt das Unternehmen bis heute allein in den USA mehr als 40 Auszeichnungen für seine Produkte.

In der Bundesrepublik Deutschland begann man zu dieser Zeit lediglich auf WordPerfect aufmerksam zu werden. Erst mit der Version 4.2 [Die Einstiegsversion des RZ] wurde auch hier ein nennenswerter Absatz erreicht. 1988 und 1989 entstanden WordPerfect 5.0 bzw. 5.1, die auch heute noch in großer Verbreitung genutzt werden. Das liegt zum einen an der enormen Funktionenvielfalt sowie andererseits an der erstaunlichen Genügsamkeit, was die Hardware betrifft. Selbst auf alten XT's kann man mit WordPerfect 5.1 ganz passabel arbeiten. Dabei steht dem Nutzer vom komfortablen Tabelleneditor über einen mathematisch-technischen Formelsatz bis hin zur Möglichkeit der Grafiknachbearbeitung und Einbindung von 1.500 Sonderzeichen alles zur Verfügung. Außerdem legt WordPerfect 5.1 eine Funktionssicherheit vor, die sich meiner Meinung nach alle späteren Produkte dieser Firma zum Vorbild nehmen sollten.

Um die Textverarbeitung herum wurden weitere Produkte entwickelt, die für die Datenaufbereitung eine wesentliche Rolle spielen: DataPerfect (relationale Datenbank) und PlanPerfect (Tabellenkalkulation). Zusätzlich entstand das WordPerfect Office, was alle drei Komponenten vereinigt und ein problemloses Zusammenspiel ermöglicht. Als leistungsstarkes Zeichen- und Präsentationsprogramm offerierte man DrawPerfect, das 1992 von WordPerfect Presentations abgelöst wurde. Desweiteren entstand ConvertPerfect, ein auf die Belange von WordPerfect zugeschnittenes Konvertierungsprogramm, sowie das integrierte Paket WordPerfect Works.

Der Einstieg in die Windows-Welt begann im Herbst 1991 mit WordPerfect 5.1 für Windows, was zunächst allerhand Schwächen aufwies. Die vielen aus der DOS-Version übernommenen Funktionen arbeiteten hier wesentlich unsicherer. Man hatte z.T. Schwierigkeiten mit der Bildschirmdarstellung und die OLE-Technik war noch nicht implementiert. Auch die aufkommenden Truetype-Schriften konnten nicht genutzt werden. Alles Dinge, die das kurze Zeit später erschienene Winword 2.0 aufzuweisen hatte. Zwar brachte die folgende Version WordPerfect 5.2 den Ausgleich, jedoch leider etwas zu spät. Viele Neueinsteiger in die Windows-Textverarbeitung hierzulande hatten sich bereits für Winword 2.0 entschieden. Und wer einmal ein System beherrscht (oder glaubt, es zu beherrschen), steigt erfahrungsgemäß nicht so leicht auf ein anderes um.

Seit Anfang diesen Jahres gibt es WordPerfect 6.0 für Windows, was dem entsprechenden Konkurrenten von Microsoft mit gleicher Versionsnummer in nichts mehr nachsteht, im Gegenteil ... Selbst die neue Technik OLE 2.0 ist in der aktuellsten Version 6.0b verwirklicht.

Heute kann die WordPerfect Corporation weltweit auf rund 16,2 Mill. verkaufte Lizenzen verweisen, was im vergangenen Jahr einen Umsatz von ca. 707,- Mio. US$ ergab. In über 117 Ländern ist sie durch Filialen vertreten. Dabei zeigt sich das Programm ausgesprochen multilingual, denn es steht in mittlerweile 28 Sprachen zur Verfügung. Gegenüber anderen Textverarbeitungen zeichnet sich WordPerfect auch dahingehend aus, daß es für mehr als 10 der gängigsten Betriebssysteme und somit auf unterschiedlichen Plattformen verfügbar ist.

Um eine leichte und kostengünstige Portierbarkeit auf weitere Systeme zu gewährleisten, bedient man sich seit Anfang der 90er Jahre bei der Entwicklung neuer Software des sog. C-Engine-Konzepts. Hierbei erarbeiten "C-Engine Development" Teams den eigentlichen Kernel zukünftiger WP-Applikationen, sprich der betriebssystemunabhängigen Routinen. Sie werden in ANSI-C und C++ codiert und garantieren so hohe Portabilität. Beispielsweise ist die Druckertreibertechnologie etwas, was auf allen Systemen einheitlich verwendet wird. Andere Arbeitsgruppen übernehmen die Anpassung plattformspezifischer Routinen für Low Level Operationen und Benutzeroberflächen. Auch der Anwender profitiert davon, denn zum einen sind alle Dokumente binärkompatibel und können somit problemlos ausgetauscht werden und zum anderen läßt sich ein einmal geschriebenes Makro auf mehreren Plattformen einsetzen. Nicht zuletzt steckt die WordPerfect Corporation viel Kapazität in den nach wie vor kostenlosen Support ihrer Produkte. Dies bedeutet, daá ca. ein Drittel der heute 5000 Mitarbeiter in diesem Bereich tätig sind, davon allein 1000 in den USA. Der deutsche Ableger von WordPerfect, die WordPerfect Software GmbH, sitzt seit 1987 in Eschborn bei Frankfurt/M. und hat ca. 100 Mitarbeiter.

Schon 1992 bezeichnete die WordPerfect Corporation die Firma Novell als einen strategisch wichtigen Partner. Und tatsächlich arbeitet WordPerfect seit diesem Frühjahr unter der "Oberhoheit" von Novell, wenn auch der Name WordPerfect und eine weitgehende Eigenständigkeit zunächst erhalten bleiben. Zusammen mit einem weiteren Unternehmen (Borland) wurde die "WordPerfect/Novell Applications Group" aus der Taufe gehoben. Novell erschließt sich so Marktsegmente, in denen es selbst bisher nichts zu bieten hatte, und WordPerfect-Produkte profitieren natürlich von dem großen Netzwerk-Knowhow des Partners. Dies wird besonders in der neuen, für Oktober 1994 angekündigten Office Version sichtbar sein, die bereits im Vorfeld von der Fachpresse sehr positiv beurteilt wird. Folgende Produkte erwarten darin den Anwender:

WordPerfect (Textverarbeitung)
Quattro Pro (Tabellenkalkulation)
WordPerfect Presentations (Präsentationsgrafik)
InfoCentral (Persönlicher Informationsmanager)
Envoy (Workgroup Publishing Tool)
Symmetry client (Workgroup Applikation mit Email, Kalenderverwaltung und Organisationsmanager)


Soweit die Darstellungen des Autors.

Auch das Rechenzentrum der KUE ist nach wie vor überzeugt, mit der WP-Textverarbeitung ein Spitzenprodukt zu unterstützen. Das soll nicht bedeuten, daá alles diesbezüglich Neue kritiklos übernommen wird, wie der folgende Artikel auch zeigt. Darüberhinaus bietet diese Firma mit den Möglichkeiten des CAP-Programms einen Nutzungsrahmen, der für alle Anwender nur Vorteile bringt, vom Angebotsspektrum her wie auch finanziell. Insgesamt betrachtet erscheint uns also die Forderung nach Unterstützung einer weiteren Textsoftware weder sachlich notwendig noch wirtschaftlich vertretbar.