Hilfe, ich bin vernetzt!

oder

Das Böse in Gestalt einer Ethernetkarte

R. Möllers


    

``Und wenn ihr mich ans Netz anschließt, dann werde ich es trotzdem nicht benutzen!'' Katjas Stimme bebte vor Zorn ... oder Angst. ``Jeder, der in dieses dämliche Netz eingebaut wird, hat danach nur noch Probleme.''

``Aber Katja'', versuchte ich meine fortschrittfeindliche Kollegin zu beruhigen, ``wir anderen kommunizieren wunderbar miteinander über das Netzwerk. Ich brauche keine Memos mehr zu kopieren, niemand muß die Dinger in Postkästen verteilen, und man kann sie ruckzuck wieder löschen.'' Für eine Sekunde schien ihr der Gedanke, meine Elaborate mit einem Tastendruck in den elektronischen Orkus verdammen zu können, verlockend genug zu sein, um dem Bösen in Gestalt einer Ethernet-Karte Einlaß in ihren ansonsten eher bescheiden ausgestatteten PC zu gewähren. Noch zwei, drei, gut gewählte Argumente in wohlgesetzten Worten mit meinem natürlichen Charme vorgebracht, und ich hätte es geschafft.

In diesem Moment kam Knut um die Ecke. Knut kennt alle Interrupts diesseits des Urals persönlich und kann mit Fausthandschuhen im Dunkeln ein EPROM auseinandernehmen und wieder zusammensetzen.

Noch bevor ich ``Themenwechsel!'' rufen konnte, nahm das Unglück schon seinen Lauf. ``Ich hab' noch eine Karte für Katjas PC'', verkündete er fröhlich und zauberte praktisch hinter seinem Rücken so einen ET2000-Adapter hervor. ``Schmeiß' ich eben schnell rein, kein Problem. Habt ihr mal einen Schraubenzieher da?'' ``NEIIIIINNNNN!'' ``Katja, bitte beruhige dich, das war nicht mit mir abgesprochen ... ich wußte nicht ... Bitte, glaub mir doch!''

Zu spät. Wie eine italienische Mama warf Katja sich über ihren PC-Solitär, bereit, die Schraubenzieherattacke mit dem eigenen Körper abzuwehren. ``Auf diesem PC läuft praktisch alles fehlerfrei, was ich brauche. Da kommt keine Karte, kein Modem, keine neue Software, keine optimierte Konfiguration und vor allem kein Netzwerkanschluß rein.''

Knut goß noch ein wenig Öl in die Flammen: ``Unsere Produktionslisten könnten wir dann alle im Server editieren, ich würde dir immer alles gleich in deine Dateien schreiben. Das wär' doch toll, oder?''

``WAAAASSSSS?'' ``Ralph, kann Knut was in meinen Dateien anstellen, wenn ich im Netz bin?'' Alarmstufe Rot war erreicht, gleich würde es zur Kernschmelze kommen. Ich mußte dringend handeln.

``Ganz ruhig, Katja! Niemand kann an deine Daten.'' Naja, keiner außer einem technischen Experten vielleicht. Hinter meinem Rücken bedeutete ich Knut, mitsamt seiner Karte zu verschwinden. Hier war jetzt der Seelsorger gefragt. ``Keiner muß ins Netz, wenn er nicht will.'' Ja, nur daß dann die ganze Planung über den Haufen geschmissen würde, alle sollten im Netz arbeiten, sonst macht es keinen Sinn. Ich mußte irgendwie weiterkommen.

``Schau mal'', begann ich vielleicht etwas zu pädagogisch, ``ich geb' ja zu, daß es manchmal kleine Problemchen gibt, aber die haben wir in der letzten Zeit ganz prima im Griff.'' Hoffentlich fragt sie jetzt nicht nach den Druckproblemchen. ``Ach, und warum kann Stefanie seitdem nicht mehr gescheit drucken?'' ``Keine Ahnung, liegt vermu

Wie Herr Kaiser von der Naumburg-Ranschleimer zählte ich nun alle Annehmlichkeiten des Netzwerkes auf, schilderte die zuverlässigen Sicherheitsmechanismen und legte dar, daß Einzelarbeitsplätze heute einfach nicht mehr zeitgemäß seien.

Katja war wenige Tage später im Netz. Die Treiber verbrauchten soviel Speicherplatz, daß ein paar meiner Meinung nach unwichtige Programme nicht mehr starten wollten. Alles ganz normal. Ich schickte ihr eine Begrüßungs-E-Mail und rannte gleich anschließend wie in den guten alten Zeiten ein letztes Mal mit einer Nachricht rüber in Katjas Büro. ``Ich hab dir eine E-Mail geschickt. Guck doch mal rein!'' ``Wie geht das?'' ``Ganz einfach Mail starten. Hier, mit Doppelklick.'' ``Und jetzt kannst du deine erste E-Mail lesen. Klick mal auf diesen Brief dort.'' Klickklick ... ``Nun komm schon!'' Klickklick ... ``Ey... Was ist denn mit dem Netz los?'' Aus verschiedenen Zimmern auf unserem Flur scholl es mehrstimmig und verärgert. Katjas Lippen wurden gefährlich schmal. Über den Bildschirm tollten die Fehlermeldungen. MS-Mail fand mal wieder seine ``Mail-Pumpe'' nicht, der Terminkalender wollte gern alleine sein, OK-Knöpfe wollten gedrückt werden. Und dann war plötzlich der ganze Spuk vorbei. Windows legte sich mit einem Ächzen auf die Seite und versank mit allen Arbeitsgruppen an Bord an der tiefsten Stelle des Arbeitsspeichers.

``Ich hatte die Auswertung der Gebietsumsätze noch nicht gespeichert. Denen kann doch nichts passiert sein, oder?'' Clint Eastwoods ``Make my day'' war eine Einladung zum Tanz gegen die Bedrohung, die aus dieser Frage sprach.

``Kein Problem'', stammelte ich. Auf dem Flur entstand ein Gemurmel, aus allen Zimmern kamen mehr oder weniger ratlose Kollegen. Das Netz war mal wieder zusammengebrochen, diesmal hatte irgendein Ahnungsloser ein Kabel abgezogen. Aber diese einfache Erklärung für den Verlust der paar Daten (nicht mal drei Stunden Arbeit) reichte Katja nicht. Für sie war die Sache klar: Das Netz war eine quasi übernatürliche Bedrohung.

Und dagegen helfen nur Rituale. Katja verwendet seither folgenden Zauber, um sich gegen die bösen Netzwerkgeister zu schützen: Morgens vor der ersten Tasse Kaffee (sehr wichtig) schaltet sie den Computer an, gibt ihr geheimes Zauberwort ein und startet dann, ohne ein anderes Programm auch nur anzuschauen (sehr, sehr wichtig), zunächst Windows, dann MS-Mail. Dabei darf niemand im Raum sein. Dann druckt sie alle Mails aus, ohne sie vorher zu lesen (extrem wichtig), verläßt Windows, schaltet den PC ab und startet erneut ohne Netzwerk. Den Rest des Tages verbringt sie außerhalb des Netzes. Alles klappt prima, und Katja lächelt weise hinter ihrem Schreibtisch, wenn man auf dem Flur wieder ein verängstigtes ``Ist-irgendwas-mit-dem-Netz-los'' hört. Ach ja, wenn wir ihr eine dringende Mitteilung machen wollen, schreiben wir es auf einen Zettel und bringen ihn schnell rüber - zu Fuß.

aus: Ralph Möllers, win Heft 2/1994;
Nachdruck mit freundlicher Genehmigung des Vogel-Verlags, Würzburg/München <\HTML>