Die Gnade des obersten Filmkritikers -
 
die sowjetische Führung und Sergej Eisenstein
 
Vorgelegt von Larisa Rogovaja, eingeleitet von Donal O'Sullivan
 
Die Überschrift zu den hier erstmals publizierten Dokumenten könnte auch "Kunst und Macht im totalitären Staat" lauten. Sie betreffen eine entscheidende Episode im Leben des berühmten Filmregisseurs Sergej Eisenstein. Es ist nicht verwunderlich, daß in der UdSSR Entscheidungen wie die Entsendung Eisensteins zu einem Kongreß ins Ausland vom Politbüro getroffen wurden.[1] Das Kino galt als wichtiges Propaganda-Instrument der Partei, und Eisenstein hatte durch seinen Panzerkreuzer Potemkin international Ansehen gewonnen und die bürgerliche Welt auf die sowjetische Kultur neugierig gemacht.
 
Oberster Filmkritiker im Land war Stalin selbst, dessen besondere Vorliebe für das Kino eine gesonderte Darstellung rechtfertigen würde.[2] Stalin hielt die Drehbücher für wichtiger als die Ideen der Regisseure. Intensiv befaßte er sich mit ihnen, änderte Titel, Hauptfiguren, Dialoge und Enden. Vielleicht lag es an diesem Interessenschwerpunkt, daß viele Drehbuchautoren, aber nur wenige Regisseure dem Terror zum Opfer fielen.
 
Die persönlichen und beruflichen Spannungen zwischen Sergej Eisenstein und dem Chef der sowjetischen Filmbürokratie, Boris Šumjackij, sind bekannt.[3]Šumjackij hatte als Parteifunktionär in Sibirien und als Diplomat im Iran gearbeitet und besaß keinerlei Erfahrung mit der Kunst, als er 1930 zum Chef von Sojuzkino, der neuen zentralen Einrichtung des sowjetischen Films, avancierte. Er sollte den ewigen Spagat zwischen ideologisch korrekten und populären Filmen überwinden, der das sowjetische Kino von Anfang an bestimmte. Die proletarischen Massen begeisterten sich für spannende Streifen ohne politische Doktrin, was den Parteifunktionären ein Dorn im Auge war. Filme wie der legendäre Panzerkreuzer Potemkin waren im Ausland beliebter als im eigenen Land. Hollywood-Stars wie Douglas Fairbanks und Mary Pickford sorgten dagegen für ausverkaufte Kinosäle in Moskau und Leningrad. Trotzdem war das Kino in den Worten des ersten Volksbildungskommissars Anatolij Lunacarskij auch eine Industrie wie jede andere, und die Kopeken der Zuschauer sollten strömen. Unterhaltende Filme sollten dazu beitragen, die ideologischen Filme zu finanzieren. Ein echter sowjetischer Künstler wie Majakovskij hatte den "Geschmack der Masse" zu verachten: "Wie sehr man es auch versucht, wieviel Profit man auch damit macht, die Geschmäcker zufriedenzustellen, man macht etwas Schändliches."[4]
 
Die Partei bemängelte, daß im sowjetischen Kino nur sehr wenig Proletarier arbeiteten und die Künstler meist aus bürgerlichen Familien stammten (nach Angaben der Künstlergewerkschaft von 1928 lag der Prozentsatz bei 97,3%). Zu Beginn von Šumjackijs Amtszeit waren daher überall Rufe nach der Herstellung einer "proletarischen Hegemonie" im Filmwesen zu hören. Šumjackij machte sich diese Forderungen zu eigen und sorgte für ein strenges Parteiregiment im sowjetischen Kino. Zunächst kritisierte er die Montagetechniken von Lev Kulešov als formalistisch, bourgeois und sowjetfeindlich. Dann wandte er sich gegen die von Eisenstein, Dziga Vertov und anderen vertretenen Versuche der Überwindung konventioneller Erzählstrukturen.
 
Der neue Funktionär wurde zum Alptraum der künstlerisch orientierten Regisseure. Šumjackij forderte von ihnen schnörkellose, verständliche Filme mit einer nachvollziehbaren Handlung. Für ihn war daher nicht der Regisseur, sondern der Organisator die wichtigste Person. Und die neuen sowjetischen Filme sollten die Lebensfreude der Sieger ausstrahlen. "Die siegreiche Klasse möchte lachen. Das ist ihr Recht. Das sowjetische Kino muß den Zuschauern dieses fröhliche sowjetische Lachen bieten."[5] In diesem Klima entstanden die Bürgerkriegsfilme wie Čapaev (1934) und Musikfilme nach dem Muster von Volga, Volga (1937). 1935 besuchte Šumjackij Paris, New York und Hollywood, was den sowjetischen Kinochef von einem riesigen Filmstudio auf der Krim träumen ließ. Dieses "sovetskij Gollivud" sollte den chronischen Mangel an Filmen beheben. Im zentralen russischen Gebiet waren Außenaufnahmen nur einige Monate im Jahr möglich. Darüber hinaus behinderte die strenge Zensur die Umsetzung von Drehbüchern, die Auslieferung von bereits fertigen Filmen, aber auch die Wiederaufführung von alten Filmen, die nicht mehr mit der "Generallinie" konform gingen. Die Statistiken waren eindeutig: 1935 wurden von 130 geplanten Filmen nur 45 fertiggestellt, ein Jahr später von 165 geplanten nur 46 produziert. 1937 schließlich plante Šumjackij nur noch 62 Filme, davon wurden nur 24 beendet.[6] Auf der Krim sollten laut Šumjackijs Visionen pro Jahr 300 Filme gedreht werden.
 
Eisensteins Fiasko in Mexiko, gesundheitliche Probleme und seine Kaltstellung stürzten den Regisseur nach der Rückkehr in die Sowjetunion in eine tiefe Lebenskrise. Schon 1932 hieß es in der Sowjetischen Enzyklopädie, Eisenstein sei durch formalistische Experimente vom Weg abgekommen.[7] Am 11. Januar 1935 erhielt er den viertklassigen Orden "verdienter Künstler der UdSSR", während der Funktionär Šumjackij mit dem Leninorden für "besondere Verdienste bei der Entwicklung der sowjetischen Kinematographie" ausgezeichnet wurde.[8] Eisenstein selbst mußte die Verleihung vornehmen. Laut seinem amerikanischen Assistenten Leyda rieb Eisenstein seine Nase, um seiner Frau insgeheim zu signalisieren, die öffentliche Demütigung lasse ihn kalt.
 
Mit dem Film Bežin lug [Bežin-Wiese] über einen Sohn, der seinen Vater denunziert, wollte er das Vertrauen der Instanzen zurückgewinnen.[9] In Zusammenarbeit mit Isaak Babel entstand das Drehbuch für seinen ersten Tonfilm. Im Mai 1935 begannen die Dreharbeiten. Der junge Amerikaner Jay Leyda, der damals zeitweise als Bote zwischen Babel und Eisenstein fungierte, spürte, wie Babel mehr und mehr in Ungnade fiel. Im März 1937 ordnete Šumjackij an, die Dreharbeiten an Bežin lug zu stoppen. Eisenstein habe zwei Millionen Rubel verschwendet und schädliche formalistische Experimente veranstaltet. In der Pravda verurteilte Šumjackij öffentlich die Fehler Eisensteins. Der Regisseur habe wiederholt bewußt den ideologischen Inhalt des Drehbuchs reduziert. Die Kollektivbauern würden als Vandalen gezeichnet und statt dessen biblische und mythische Figuren eingeführt. Eisenstein habe alle Einwände bezüglich der öffentlichen Meinung ignoriert. Da Eisenstein sich geweigert habe, "das Leben zu studieren" und sich statt dessen auf scholastische Weisheit verlassen habe, habe er schließlich erkennen müssen, der Aufgabe nicht gewachsen zu sein.[10]
 
In einer dreitägigen Versammlung mußten sich langjährige Weggefährten von Eisensteins Arbeit distanzieren, während der Regisseur selbst darum bat, ihm bei der Überwindung seiner Fehler zu helfen.
 
Es war bekannt, daß Appelle an Stalin dazu führen konnten, einen verbotenen Film freizugeben, wie im Falle von Ivan Pyrievs Partijnyj bilet 1936.[11] So war es auch bei Eisenstein. Vsevolod Višnevskij berichtete später, Eisensteins Feinde hätten versucht, ihn daran zu hindern, einen weiteren Film zu drehen, aber "die Partei und die Regierung, und Stalin im besonderen, kamen ihm zu Hilfe".[12] Es ist exakt dieser Vorgang, der nunmehr dokumentiert werden kann. Eisensteins Brief an Šumjackij vom 16. April 1937 wurde an Stalin weitergeleitet. Im Umlaufverfahren faßte die politische Führung den Beschluß, Eisenstein eine Aufgabe anzuvertrauen und ihn nicht, wie Šumjackij vorgeschlagen hatte, völlig zu isolieren.
 
Am 25. April 1937 wurde in Moskau eine Selbstkritik Eisensteins veröffentlicht. Woran liege es, daß er trotz ehrlichen Gefühlen in zwei Jahren Arbeit ein Werk geschaffen habe, das eine Perversion der Realität darstelle und politisch substanzlos und daher unkünstlerisch sei? Es liege, so Eisenstein, an seiner tiefsitzenden intellektuellen und individualistischen Illusion, ein Werk "allein", außerhalb des Kollektivs zu schaffen. "Ich verstehe meine Fehler, ich verstehe die Bedeutung von Kritik, von Selbstkritik, Kontrolle und Selbstkontrolle, die im Land im Zusammenhang mit den Entscheidungen des ZK-Plenums vom Februar 1937 ablaufen... Das Thema meiner neuen Arbeit kann nur von einer Art sein: heroisch im Geiste, kämpferisch im Inhalt, und populär im Stil. Gleich, ob es Material über 1917 oder 1937 sein wird, es wird dem siegreichen Marsch des Sozialismus dienen."[13]
 
Ein westlicher Besucher, der den Regisseur im Juni 1937 traf, berichtet, Eisenstein habe sich bemüht, sich nichts anmerken zu lassen. "Ich verstand seinen Wunsch, die politischen Ereignisse nicht anzusprechen. Er wollte sich ausruhen, er hatte Probleme mit dem Herzen. Er erwähnte die Nazi-Bedrohung und die internationale Situation kaum."[14] Die internationale Presse berichtete ausführlich über das Verbot des Films und besorgte Gerüchte über Eisensteins Schicksal kursierten.[15]
 
Stalin persönlich erlaubte Eisenstein, ab Herbst 1937 Aleksandr Nevskij zu drehen. Nach einer Vorführung soll er gesagt haben: "Eisenstein ist doch ein Bol'ševik!" Möglicherweise nahm Stalin auch Rücksicht auf Eisensteins Ruf im Ausland.[16]
 
Šumjackij konnte seinen Triumph nicht lange genießen. Für den Chef des sowjetischen Films war es verhängnisvoll, daß Michail Romm innerhalb von drei Monaten den Film Lenin im Oktober - rechtzeitig für die Feierlichkeiten zum 20. Jubiläum der Oktoberrevolution - aus dem Boden stampfen konnte. Warum war das nicht immer möglich? Am 31. Dezember 1937 wurde Šumjackij zur Silvesterfeier in den Kreml gerufen. Als er mit Mineralwasser anstoßen wollte, sagte Stalin zu ihm: "Du hast anscheinend keine Lust, auf mein Wohl zu trinken."[17] Am 2. Januar 1938 wurde der Filmfunktionär abgesetzt. Am 9. Januar beschuldigte ihn die Pravda, "politisch blind" und ein Werkzeug von Saboteuren zu sein. (Leyda berichtet von spontanen Partys bei den Filmregisseuren, als sie diese Nachricht erhielten). Kurze Zeit später wurde Šumjackij verhaftet und im Sommer hingerichtet.
 
Einer der Nachfolger Šumjackijs an der Spitze der sowjetischen Filmbürokratie war Ivan Bol'šakov, der erste Film-Minister der UdSSR. Im September 1942 stufte Bol'šakov eine von Eisenstein vorgesehene Schauspielerin für Ivan Groznyj als "zu semitisch" ein und bat Agitationschef Ščerbakov, seine Zustimmung zu verweigern, "obgleich Eisenstein an alle Instanzen appellieren wird."[18] Šumjackijs Nachfolger ahnten, daß Eisenstein sich wieder direkt an Stalin wenden könnte. Eisensteins Auseinandersetzung mit den Funktionären ging weiter.
 
Dokument 1.
 
Brief von Sergej Eisenstein an Boris Šumjackij:
 
"Lieber Boris Zacharovič;
 
Ich schreibe Ihnen als einem Bolschewiken, einem alten Genossen und Parteileiter.
 
Die Zeit, die seit dem Verbot von Bežin lug vergangen ist, verbrachte ich nicht nur mit ernsthaftem Nachdenken über meine Fehler, sondern auch mit Gedanken darüber, wie sie überwunden werden können.
 
Wie Sie wissen, hielt ich es zuerst für möglich, mit Nacharbeiten und Nachaufnahmen den Film zu retten.
 
Dann wurde mir vollkommen klar, daß der Film nur gestoppt und verboten werden konnte und sollte... Wäre er über die Leinwand gegangen, hätte er ein falsches Bild jener wirklichen Umstände abgegeben, unter denen die Kollektivierung des Landes stattfand. Der Film hätte eine politisch schädliche Rolle gespielt.
 
Was nun?
 
Begangene Fehler, die auf uns allen liegen, muß man sofort wiedergutmachen. Das ist die Tradition der Partei, das ist der Brauch unseres Landes auf allen Strecken des Aufbaus des Sozialismus.
 
Das umfasst alle, inklusive Rechtsbrecher. Künstlerische Fehler kann man nur in der Kunst korrigieren.
 
Seit 1920 arbeite ich in der Kunst - ich habe oft geirrt und Fehler begangen, aber das Thema meiner Arbeiten war immer der Klassenkampf und mein Bestreben war es immer, diesem Kampf zu dienen und daran teilzunehmen.
 
Jetzt spüre ich die Tendenz, mich im Schaffensstillstand zu halten, mir die Möglichkeit zu geben, über meine Fehler nachzudenken ohne Verbindung zur konkreten schöpferischen Arbeit und der Vorbereitung darauf. Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, daß es möglich wäre, auf diese Art und Weise die Fehler zu beseitigen.
 
Nur leidenschaftliche Stoßarbeit mit voller Anstrengung aller schöpferischen Kräfte kann zur Liquidierung von weltanschaulichen und künstlerischen Fehlern führen.
 
Nur ein echt kämpferisches, verbissen heroisches Thema und dessen Ausarbeitung kann voll und ganz dazu mobilisieren.
 
Man muß das Land zeigen, das Volk, die Partei, Lenins Werk, den Oktober. Die Anweisungen der Partei, der Regierung sind zu verwirklichen.
 
Einer der Fehler meiner früheren Arbeit war die Unterschätzung des Drehbuchs, der Notwendigkeit eines engen Kontakts mit dem Autor.
 
Jetzt zeichnet sich die Chance ab, genau so, auf neue Art und Weise zu arbeiten.
 
[...] Ich habe nun das Drehbuch von Vs.Višnevskij Wir - das russische Volk zur Kenntnis nehmen können. Das Drehbuch hat mich tief ergriffen und richtig begeistert. Es setzt die ruhmreiche Tradition unserer besten Tonfilme fort. Und es ist unser großes Parteithema.
 
Meine Begeisterung dafür wird es mir ermöglichen, meine Mängel zu überwinden und auf gebührende Weise unsere wunderbaren Menschen in ihrem Kampf für den Oktober zu zeigen.
 
Ich bitte darum, mir die Möglichkeit zu geben, in vollem Umfang zu arbeiten, ich bitte mir zu helfen, ich bitte um Vertrauen, das durch alles, was ich habe und was in mir [steckt], gerechtfertigt wird.
 
Ich bitte, mir die Möglichkeit zu geben, diesen Film über unser heldenhaftes Volk, über die Bolschewiki, über das Jahr 1917 zu machen.
 
Dieser Film wird eine lange und ausführliche Vorbereitung erfordern. Das wird mir Zeit geben für marxistische Selbstprüfung und Erziehung. Es wird nötig sein, die alte Armee und die Armee des Jahres 1917 zu erforschen, was ohne Verbindung zu unserer Roten Armee unmöglich ist. Es wird nötig sein, über die Prototypen der Filmgestalten zu forschen. Nötig wird es auch sein, die historischen Schauplätze zu besuchen und sich mit den Teilnehmern dieser Ereignisse zu treffen.
 
Das alles wird mir die Möglichkeit geben, richtig und zielgerichtet in die Mitte unserer Wirklichkeit zu gehen, in die Mitte von Menschen, die diese Wirklichkeit erschaffen.
 
Nur so wird es eine lebendige und echte Erfahrung jener realen Wirklichkeit, deren Kenntnis mir so stark fehlt.
 
Nur auf diesem Wege werde ich endgültig zu dem echt realistischen Stil übergehen und die formalistischen Methodenfehler überwinden.
 
Ohne Arbeit dieser Art kann ich mir weder Wachstum noch Entwicklung, weder Sinn noch Inhalt meines Lebens vorstellen.
 
Ich bin sicher, daß Sie meinen Zustand verstehen werden.
 
Ich bitte Sie sehr, auf meine Bitte einzugehen und mir zu helfen, möglichst schnell zum Kunstschaffen zurückzukehren, um mit einer neuen Arbeit den Rückstand von Bežin lug zu beheben.
 
16. April 1937. S. Eisenstein
 
Dokument 2.
 
19. April 1937. Begleitschreiben von Boris Šumjackij an Iosif Stalin zum Brief von Sergej Eisenstein.
 
"Geheim.
 
An: ZK VKP(b), Gen. Stalin I.V.
 
Anbei schicke ich Ihnen die Kopie des Briefes, den wir von S. Eisenstein erhalten haben. Dem Erhalten dieses Briefes ging ein energischer Versuch einer Reihe von Genossen voran, S. Eisenstein in der Arbeit im Bereich der Filmkunst wiedereinzusetzen, was wir entschieden abgelehnt haben.
 
Danach wurde der gleiche Versuch von dem Schriftsteller Vsevolod Višnevskij unternommen. Zuerst versuchte er, die Filmschaffenden zu überzeugen, daß Eisenstein ein echter Sowjetkünstler sei, dann, als er unsere Weigerung sah, Eisenstein eine Arbeit im Kino zu geben, begann er damit zu drohen, an die öffentlichkeit zu appellieren, sich bei den Sekretären des ZK darüber zu beschweren, daß wir angeblich ,den genialen Kinoregisseur zugrunde richten', Eisenstein unserem beschränkten Geschmack ,opfern' würden.
 
Wir glauben, daß diese Umtriebe auf die Vereitelung der Entscheidung des ZK über Bežin lug gerichtet sind, was die erwähnten Genossen offensichtlich ignorieren. Diese Entscheidung schweigen sie in der Presse tot. Denn keine zentrale Zeitung außer Pravda hat je eine einzige Zeile über das Verbot von Bežin lug veröffentlicht.
 
Da das Drängen auf die ,Wiedereinsetzung' von S. Eisenstein die Vereitelung der Entscheidung des ZK der VKP(b) bezweckt und da Eisenstein selber versucht, seine Ansprüche in Privatgesprächen mit der Drohung zu bekräftigen, er werde Selbstmord begehen, halte ich es für nötig, daß das ZK eine Anweisung gibt, welche Linie wir in diesen Fragen durchführen sollen. Ich für mein Teil glaube, daß Eisenstein nicht als Regisseur im Kino arbeiten kann.
 
Einen Entwurf des Beschlusses füge ich bei.
 
19. 4. 1937. B. Šumjackij."
 
RCChIDNI, f. 17, op. 163, d. 1147, l. 123-124. Maschinengeschriebenes Exemplar mit Unterschrift.
 
Dokument 3.
 
Entwurf der Resolution des ZK der VKP(b), vorbereitet von Boris Šumjackij.
 
"Geheim.
 
Entwurf
 
Resolution des ZK der VKP(b).
 
1. Die Einsetzung von S. Eisenstein in der Regiearbeit im Bereich der Filmkunst ist nicht möglich.
 
2. Die Presseabteilung des ZK soll den Zeitungen den Vorschlag unterbreiten, mit dem Totschweigen der Entscheidung des ZK über das Verbot des Films Bežin lug aufzuhören und nach dem Beispiel der Pravda die Unzulänglichkeit der künstlerischen Methode von S. Eisenstein auf ihren Seiten zu beleuchten.
 
19.4.37.19
 
Ebd. l. 125.
 
Šumjackijs Schreiben und die von ihm ümbersandten Dokumente wurden von den Mitgliedern des Politbüeros besprochen; die Ergebnisse dieser Besprechung sind in Form von handgeschriebenen Vermerken auf der ersten Seite des Schreibens erhalten geblieben:
 
"An die Gen. Molotov, Kaganovič, Vorošilov, Ždanov, Keržencev. Was tun? J.St."
 
"Ich denke, man kann Eisenstein nicht glauben. Er wird wieder Millionen verausgaben und nichts geben, denn er ist gegen den Sozialismus. Die Vorschläge von Šumjackij sind richtig. L. Kaganovič."
 
"Ich glaube, man kann versuchen, Eisenstein einzusetzen, indem man ihm eine Aufgabe (ein Thema) gibt und sein Drehbuch, den Text usw. vorher sanktioniert. - Man sollte sich mit ihm Mümhe geben. V. Molotov."
 
"Bin mit dem Vorschlag von Gen. Molotov einverstanden. K. Vorošilov."
 
"Ich auch. A. Ždanov."
 
Ebd. l. 123.
 
Nach all diesen Vermerken setzte Stalin noch einmal seinen Schnörkel "St", wodurch er die Diskussion beendete und den Vorschlag von Molotov unterstützte. Das schlug sich dann auch in der Entscheidung des ZK der VKP(b) vom 9. Mai 1937 nieder: "über S. Eisenstein. Gen. Šumjackij soll vorgeschlagen werden, Eisenstein einzusetzen, indem er ihm eine Aufgabe (ein Thema) gibt, sein Drehbuch, den Text usw. vorher sanktioniert."
 
RCChIDNI. f. 17, op. 3, d. 984, l. 18.
 
(übersetzung: Alexei Rybakov)

[1] RGASPI, f. 17, op. 3, d. 753, l. 7. 12.8.1929. Das Politbüro bestätigte Eisenstein als Mitglied der Delegation für den internationalen Kongreß der unabhängigen Filmkunst in der Schweiz (in der Nähe von Lausanne). Vgl. zu diesem Kongreß und Eisensteins Aufenthalt Moussinac, Léon: Eisenstein. New York 1970. Das Politbüro beriet zum Beispiel am 10. 8. 1931 über Upton Sinclairs Angebot, Eisensteins Mexiko-Film zu finanzieren. RGASPI, f. 17, op. 3, d. 841, l. 3.
 
[2] Vgl. etwa Kenez, Peter: Soviet cinema in the age of Stalin, in: Taylor, Richard/Spring, Derek: Stalinism and Soviet Cinema. London, New York, 1993, 54-68.
 
[3] Taylor, Richard: Ideology as mass entertainment: Boris Shumyatsky and Soviet cinema in the 1930s, in: Taylor, Richard/Christie, Ian: Inside the Film Factory. New approaches to Russian and Soviet cinema. London, New York, 195. Es gibt eine Biographie von Bagaev, B.: Boris Šumjackij. Očerk žizni i dejatel'nost. Krasnojarsk 1974.
 
[4 ] Zit. nach Taylor, Richard: Ideology, in: Taylor/Christie, 195.
 
[5] Zit. nach Taylor, 209.
 
[6] Taylor, 215.
 
[7] Vgl. dazu Moussinac, 57.
 
[8] Die Ehrung erfolgte per Politbürobeschluß vom 11.1.1935. RGASPI, f. 15, op. 3, d. 598, l. 46. Zu den Umständen der Verleihung vgl. der Augenzeugenbericht von Leyda, Jay, 319-320; Seton, Marie: Eisenstein. New York 1952, 245-346.
 
[9] Zu den Dreharbeiten vgl. Seton, 351-378.
 
[10] Text in Moussinac, 157-159.
 
[11] Kenez in Taylor/Spring, 63.
 
[12] Zit. nach Seton, 379.
 
[13] Text in Moussinac, 160-164.
 
[14] Moussinac, 64.
 
[15] Seton, 369.
 
[16] Eisenstein war verhältnismäßig privilegiert: Die Behörden erlaubten ihm, für seine im Ausland publizierten Artikel ein Konto bei der Buchhandlung Zwemmer in London zu unterhalten und wertvolle Bücher zu beziehen. Seton, 292.
 
[17] Schumatsky, Boris: Silvester bei Stalin. Die Geschichte einer Familie. Bodenheim bei Mainz 1999. Vgl. Kein Wasser für den Chef. Rezension von Ralph Dutli, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10.8.1999.
 
[18] Brief vom 24.9.1942. Forum für osteuropäische Ideen- und Zeitgeschichte 1. Jg. (1998), H. 1, 258.