Totalitarismusdiskussion


Leonid Luks

Programmatische Anleitungen zur totalitären Doppelrevolution des 20. Jahrhunderts – H.S. Chamberlains Grundlagen des neunzehnten Jahrhunderts und Lenins Was tun?

Die Erosion der liberalen Ideen, die seit den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts in Europa zu beobachten war,[1] hat sich seit der Jahrhundertwende zusätzlich beschleunigt. Sie wurden erneut, ähnlich wie in den siebziger und achtziger Jahren, von rechts wie links angegriffen. Erneut waren es einflußreiche Vertreter der Bildungsschicht und nicht die allgemein gefürchteten „Massen“, die solche Werte wie Toleranz oder Humanität mit besonderer Radikalität und Gehässigkeit bekämpften. Nicht der Aufstand der Massen, sondern die Rebellion der intellektuellen Elite habe dem europäischen Humanismus die größten Schläge zugefügt, schrieb in diesem Zusammenhang 1939 der russische Exilhistoriker Georgij Fedotov.[2]

Die größten Rückschläge erlitt der europäische Humanismus in seiner Auseinandersetzung mit zwei Denkschulen, die zwar Geschöpfe des ansonsten liberalen 19. Jahrhunderts waren, ihr zerstörerisches Potential aber erst im totalitären 20. Jahrhunderts entfalten sollten: die Klassenkampftheorie und die Rassenlehre. Die wegweisenden Schriften der beiden Denkschulen – das Kommunistische Manifest von Marx und Engels und der Versuch über die Ungleichheit der Menschenracen von Graf Gobineau – entstanden beinahe gleichzeitig. Beide Schriften standen an der Grenze zweier Epochen – der Romantik auf der einen und des wissenschaftlich-positivi­stischen Zeitalters auf der anderen Seite – und waren durch Glaubenssätze der beiden Epochen geprägt. Nicht zuletzt diese Synthese verlieh ihnen eine außerordentliche Durchschlagskraft. Romantisch war bei Marx und Engels und bei Gobineau der Glaube an ein „Goldenes Zeitalter“ der Menschheit und an einen gottähnlichen, menschgewordenen Erlöser. Zugleich waren sie aber davon überzeugt, eherne Gesetze der Geschichte entdeckt und wissenschaftlich begründet zu haben. Und mit diesem Wissenschaftsglauben partizipierten sie bereits am positivistischen Zeitgeist, der sich um die Mitte des 19. Jahrhunderts durchzusetzen begann.

Sowohl Marx und Engels als auch Gobineau waren geschichtliche Deterministen, allerdings mit einem Unterschied: Das Konzept der Autoren des Kommunistischen Manifestes zeichnete sich durch einen grenzenlosen Optimismus und dasjenige Gobineaus durch einen grenzenlosen Pessimismus aus.

Marx und Engels waren davon überzeugt, im Proletariat einen neuen Heiland gefunden zu haben, der von der Ursünde der Ausbeutung der Menschen durch den Menschen frei sei. So gut wie nichts verbinde den Industrieproletarier mit der alten, von der Klassenherrschaft geprägten Welt. Deshalb sei er auch dazu prädestiniert, diese sündhafte Welt zu zerstören und die Menschheit in das „Goldene Zeitalter“ der Klassenlosigkeit zu überführen.

Der Heiland Gobineaus war die weiße Rasse: „[Die Geschichte] zeigt uns“, so Gobineau, „daß jede Zivilisation von der weißen Race herstammt, daß keine ohne die Beihilfe dieser Race bestehen kann, und daß eine Gesellschaft nur in dem Verhältnis groß und glänzend ist, als sie die edle Gruppe, der sie ihr Dasein verdankt, sich lange erhält.“[3] Was Gobineau allerdings außerordentlich deprimierte, war der von ihm konstatierte permanente Verfall dieser „edelsten“ menschlichen Gattung, und zwar aufgrund ihrer Vermischung mit den anderen Rassen: „Mischung, Mischung überall, Mischung immerdar“,[4] beklagte sich bitterlich einer der Begründer der Rassenlehre. Das „Goldene Zeitalter“, das für Marx und Engels erst in der „lichten Zukunft“ anbrechen sollte, befand sich für Gobineau in der grauen Vorzeit: „Die Brahmanen Urindiens, die Helden der Ilias [...], die skandinawischen Krieger [boten] ein glänzenderes und edleres Bild der Menschheit dar [...] als [...] die hundertfältigen Mischlingsbevölkerungen der gegenwärtigen Zeit.“[5]

Indes waren für den rassischen Puristen Gobineau nicht einmal die „arischen“ „Helden der großen Epochen“ makellos: „Und doch waren auch sie schon nicht rein.“[6] Noch schlimmer sahen für Gobineau die Zukunftsaussichten der Menschheit aus: sie verfalle und degeneriere sich unaufhaltsam, weil die weiße Rasse durch fortwährende Vermischung ihre Reinheit verliere.[7] Am Ende dieses Verfallsprozesses stehe der endgültige Untergang. Aber noch schlimmer als der unausweichliche Verfall der Menschheit war für Gobineau folgende Perspektive: „Die betrüblichste Voraussicht ist nicht der Tod, es ist die Gewißheit, daß wir ihn nur entwürdigt erreichen werden.“[8]

Die düsteren Prognosen Gobineaus erinnern an Untergangsvisionen des Spaniers Donoso Cortés und anderer Verfechter von Dekadenztheorien, die um die Mitte des 19. Jahrhunderts eine außerordentliche Verbreitung fanden. Dabei verwechselten die damaligen „Kulturpessimisten“ den Verfall des alten aristokratischen Europas mit dem Verfall der europäischen Kultur als solcher.[9]

Pessimistisch waren damals allerdings nicht nur die Verfechter des „Ancien Régime“, sondern auch seine Gegner. Denn ihr Versuch, den liberalen, demokratischen oder sozialistischen Prinzipien zum Durchbruch zu verhelfen, schien nach dem Scheitern der Revolution von 1848/49 ein vollkommenes Fiasko erlitten zu haben. So offenbarten die Erfahrungen von 1848/49 vielen Gegnern des alten Regimes, daß die bestehende politisch-soziale Ordnung sich von unten nicht stürzen ließ. Ein Teil des regierenden konservativen Establishments begriff wiederum, daß die „Öffentlichkeitsarbeit“ ein äußerst wichtiger Bestandteil der Politik sei und daß es langfristig aussichtslos sei, gegen die in der Gesellschaft vorherrschenden Ideen, gegen den „Zeitgeist“ anzukämpfen. Beide Einsichten führten zu einem Kompromiß, der dem bestehenden System ermöglichte, eine immer größere Zahl seiner bisherigen Gegner zu integrieren. Die nationalistische Ideologie wurde dabei zu einer Klammer, die immer breitere Bevölkerungsschichten von den inneren Konflikten ablenkte.

So war das revolutionäre Zeitalter im Westen nach 1849 praktisch zu Ende. Die regierenden Schichten konnten aufatmen, kulturpessimistische Visionen, die um die Mitte des 19. Jahrhunderts das Selbstbewußtsein der Europäer zu erschüttern drohten, wurden immer seltener verbreitet. Statt dessen erlebte der westliche Teil des Kontinents in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts einen gewaltigen Industrialisierungs-, Modernisierungs- und Liberalisierungsprozeß.

Auch die marxistisch orientierte Arbeiterbewegung, die letzte gewichtige Gruppierung des Westens, die den „bürgerlichen Staat“ prinzipiell ablehnte, begann sich im ausgehenden 19. Jahrhundert in das bestehende System zu integrieren.

Das Proletariat, mit dem Marx und Engels ihre chiliastischen Hoffnungen verknüpften, hat sich als revolutionäre Klasse nicht bewährt. Solche Ereignisse wie der Aufstand der Pariser Arbeiter vom Juni 1848 oder die Pariser Kommune blieben nur Randerscheinungen.

Eine erfolgreiche industrielle Revolution stellte für die Klassiker des Marxismus die Voraussetzung für den Sieg der proletarischen Revolution dar. Die tatsächliche geschichtliche Entwicklung verlief aber nach einem genau entgegengesetzten Szenario. Nur dort, wo die industrielle Revolution nicht rechtzeitig zum Durchbruch kam, hatte die von den Marxschen Ideen inspirierte Revolution eine Chance. Nicht in den hochentwickelten Industriestaaten, sondern in den Agrar- bzw. Schwellenländern konnten die vom Kommunistischen Manifest aufgestellten Postulate realisiert werden. Im hoch­industrialisierten Westen dagegen kam es zu einer allmählichen Abmilderung der Klassengegensätze, die Marx seinerzeit für unüberbrückbar gehalten hatte. Die industrielle Revolution trug nun ihre Früchte, und die Arbeiter hatten mehr zu verlieren als nur ihre Ketten. Nicht zuletzt deshalb versuchte Eduard Bernstein mit seiner Schrift Die Voraussetzungen des Sozialismus und die Aufgaben der Sozialdemokratie von 1899, den Marxismus mit der Realität, wie er sie sah, in Einklang zu bringen. Der Zusammenbruch des Kapitalismus stehe nicht bevor, stellte er fest. Deshalb müsse die SPD auf ihre revolutionäre Phraseologie verzichten und gemeinsam mit den liberalen bürgerlichen Kräften an der Reformierung der bestehenden Gesellschaft arbeiten.

Die Thesen Bernsteins wurden zwar von der Mehrheit der Führer der Sozialistischen Internationale verurteilt, dennoch war der wachsende Einfluß der Anhänger der evolutionären Zielsetzungen in der westlichen Arbeiterbewegung nicht zu übersehen.

Zur Abmilderung der Klassengegensätze im Westen trug indes nicht nur die erfolgreiche industrielle Revolution bei, sondern indirekt auch Marx selbst, genauer gesagt die von ihm inspirierte Bewegung. Anläßlich der Gründung der I. Internationale im September 1864 sagte Marx über die Ziele dieser Organisation: Die Arbeiterklasse könne im Kampf um ihre Emanzipation nur ihre Zahl einsetzen, da sie über keine sonstigen Mittel verfüge. Ohne Organisation und ohne theoretische Kenntnisse bedeute aber die Zahl wenig. Wenn die Arbeiterklasse die Auseinandersetzung mit dem kapitalistischen Staat erfolgreich führen wolle, müsse sie seinem gewaltigen wirtschaftlichen und politischen Potential eine entsprechende Organisation und eine umfassende Theorie entgegensetzen.[10]

Der 1864 gegründeten I. Internationale gelang es nicht, diese Marxschen Postulate zu realisieren. Sie zerbrach gerade am Mangel an theoretischer Homogenität und an ihrer organisatorischen Schwäche. Die Parteien der 1889 gegründeten II. Internationale stellten demgegenüber mächtige Organisationen mit einer sie einigenden theoretischen Klammer (der marxistischen Ideologie) dar.

Ihre organisatorische Stärke und ideologische Homogenität verhalfen nun den bedeutendsten sozialdemokratischen Parteien des Westens zu erheblichen politischen und wirtschaftlichen Erfolgen. Immer weniger Länder konnten es sich leisten, den Arbeitern das Streikrecht zu verweigern, und auch das allgemeine Wahlrecht, das die Industriearbeiterschaft eindeutig begünstigte, wurde auf immer neue Staaten ausgedehnt. Abgesehen davon begannen die Marxisten in einem immer stärkeren Ausmaß den politischen Diskurs in Europa zu beeinflussen. Sie sensibilisierten die maßgeblichen politischen, wirtschaftlichen und religiösen Kreise des Kontinents für die Arbeiterfrage. Sogar im Vatikan wurde sie, wenn auch mit erheblicher Verspätung, als eine der dringendsten Fragen der Zeit entdeckt. Der polnische Theologe Stępa kommentierte diesen Sachverhalt vor etwa 90 Jahren folgendermaßen: „Wir sollen zwei Daten miteinander vergleichen. Im Jahre 1848 wurde das Kommunistische Manifest veröffentlicht, im Jahre 1891 die päpstliche Enzyklika zur Sozialpolitik – Rerum novarum. Die Kirche hat sich also um 40 Jahre verspätet. Ohne diese Verspätung würde die religiöse Situation von heute vielleicht ganz anders aussehen.“[11]

Wie dem auch sei, es gehörte zweifellos zu den Verdiensten der Marxisten, daß die Arbeiterfrage auch für Nichtmarxisten zu einem Anliegen von herausragender Bedeutung wurde. Dies trug zur Lösung dieser Frage erheblich bei.

Der Angriff von rechts

Auf der anderen Seite waren es aber gerade die Erfolge der Arbeiterbewegung, die erneut Untergangsvisionen im Lager der Verteidiger der bestehenden Gesellschaftsverhältnisse schürten. Die liberale Demokratie war ihrer Ansicht nach nicht imstande, auf diese neue Herausforderung adäquat zu reagieren. Es begann eine außerordentlich tiefe Identitätskrise des Parlamentaris­mus und Liberalismus. Diese Krise war mit einer zunehmenden Skepsis maßgeblicher intellektueller Kreise des Westens gegenüber dem positivistischen Fortschritts- und Wissenschaftsglauben und gegenüber rationalistischen Denkmodellen verknüpft. Es begann eine Suche nach Alternativen zum parlamentarisch-demokratischen System, das Streben nach einer Erneuerung bzw. Revitalisierung der herrschenden Eliten (V. Pareto, G. Mosca). Die für das liberale Zeitalter charakteristische Suche nach Kompromissen mit innen­politischen Gegnern lehnten die Kritiker des Parlamentarismus und Liberalismus rundweg ab. Sie plädierten für dezisionistische Lösungen, für die Ausschaltung des politischen Gegners, wenn nötig auch mit Hilfe der sogenannten „direkten Gewalt“. Zu einer der größten Gefahren der europäischen Zivilisation wurde nun von vielen rechten Kritikern des Liberalismus der sogenannte „Aufstand der Massen“ stilisiert. Und die organisierte Arbeiterbe­wegung hielten sie für die gefährlichste Ausformung dieses Aufstandes. Um dieser von unten drohenden Gefahr zu begegnen, wollten manche antiliberale Gruppierungen, zum Beispiel die Sozialdarwinisten, die herkömmlichen Moralbegriffe revidieren. So sollten nach ihrer Ansicht nicht die Schwachen und Unterprivilegierten vor den Starken, sondern umgekehrt die Starken und die Besten vor den Schwachen, d. h. vor der Masse geschützt werden. Mitleid mit den Schwachen hielten die Sozialdarwinisten für eine völlig überholte Forderung. Sie idealisierten die Gesetze der biologischen Natur und versuchten, das in der Natur herrschende Recht des Stärkeren auf die Gesellschaft zu übertragen.[12]

Die Juden galten vielen militanten Gegnern der Moderne als Anführer des „Aufstandes der Massen“. Sie stachelten angeblich die „obrigkeitstreuen“ Unterschichten zum Kampf gegen ständische Privilegien und soziale Mißstände an. Der von Treitschke 1879 lancierte Satz „Die Juden sind unser Unglück“,[13] stellte um die Jahrhundertwende ein Allgemeingut vieler Gruppierungen dar – und zwar europaweit. Treitschkes „Respektabilität“ schien den allgemein verbreiteten judenfeindlichen Mythen eine zusätzliche Glaubwürdigkeit zu verleihen – so dem Mythos von der „jüdischen Presse“, die die Sitten zersetze, oder dem von „jüdischen Gotteslästerern“, die die angeblich so frommen Christen zur Abkehr von ihren überlieferten Glaubensvorstellungen inspirierten.

Treitschkes Vorschläge zur Lösung der „jüdischen Frage“ waren allerdings für viele seiner „Epigonen“ nicht radikal genug. Denn Treitschke hatte sich trotz seines immer intensiver werdenden Judenhasses von manchen liberalen Vorstellungen nicht gänzlich befreit und betonte wiederholt, daß er die jüdische Emanzipation als solche nicht in Frage stelle.

Für diese Überbleibsel liberalen Denkens hatten die Nachfolger Trei­tschkes nur noch Spott übrig. Die Lösung des „jüdischen Problems“ machte ihrer Ansicht nach völlig neue Methoden erforderlich. Mit besonderer Vehemenz plädierte für solch eine neue Form der Auseinandersetzung mit dem Judentum der englisch-deutsche Publizist Houston Stewart Chamberlain, dessen 1899 erschienenes pseudowissenschaftliches Elaborat Die Grundlagen des neunzehnten Jahrhunderts zu einer Art Pflichtlektüre für unzählige pseudointellektuelle Kreise im Deutschen Reich und weit darüber hinaus werden sollte.[14]

Dabei darf man nicht vergessen, daß dieses Buch, das die religiösen, historischen und kulturellen Fundamente der europäischen Zivilisation als solcher zu erklären suchte, von einem Dilettanten geschrieben wurde, der über sich selbst sagte, er sei kein Fachmann, kein Gelehrter: „Nicht allein bin ich kein Gelehrter, sondern ich bin organisch unfähig, jemals einer zu werden.“[15]

Und in der Tat. Das pseudowissenschaftliche Machwerk Chamberlains rief höhnische Reaktionen bei vielen Spezialisten hervor, worüber sich Chamberlain wiederholt beklagte: „Dieser Professorenaberglaube ist in Deutschland fast eine Kalamität geworden“, schrieb er am 4. Januar 1902 an Kaiser Wilhelm II.,[16] der zu den größten Bewunderern der Grundlagen zählte.

Was sicherte also diesem „Werk“, trotz der äußerst skeptischen Reaktion mancher Wissenschaftler, eine derartige Verbreitung? Dies war sicher der Anspruch Chamberlains, die Gesetzmäßigkeit der Geschichte entdeckt zu haben. In beinahe Marxscher Manier meinte er, die Ursache der Ursachen, die prima causa der historischen Prozesse entdeckt zu haben, und dies war für ihn der auf Leben und Tod geführte Kampf zwischen der „höchst schöpferischen“ arischen bzw. indoeuropäischen Rasse und ihrem „Feind“ – dem Semitentum bzw. Judentum.

Als glühender Verehrer Richard Wagners, als Wagner-Biograph und führender Publizist des „Bayreuther Kreises“ setzte Chamberlain den Feldzug seines Lehrmeisters gegen das Judentum fort, der den „moralischen Verfall“ der modernen Welt auf den Einfluß des Judentums zurückführte. Voller Zustimmung zitierte Chamberlain auch die Wagnersche Definition des Judentums, das der Komponist als den „plastischen Dämon des Verfalls der Menschheit“ bezeichnet hatte.[17]

Indes ging die Kampfschrift Chamberlains über das Programm Wagners, das sich besonders deutlich in dessen Schrift Das Judentum in der Musik manifestiert hatte, hinaus. Wagner rief nämlich die Juden dazu auf, auf ihr Judentum zu verzichten: „Gemeinschaftlich mit uns Mensch werden, heißt für den Juden aber zu allernächst soviel als: aufhören, Jude zu sein.“[18]

Chamberlain hielt eine derartige Selbstauflösung des Judentums für völlig ausgeschlossen, weil das innere Wesen der Juden unwiderruflich durch deren Rasse determiniert werde.[19]

Zwar begann auch Wagner unter dem Einfluß Gobineaus, den er 1876 in Rom traf, immer stärker an den Rassendeterminismus zu glauben,[20] bei Chamberlain indes erreichte dieser Glaube bereits die Form eines beinahe unverrückbaren Dogmas. Was diesem Glaubensaxiom allerdings eine außerordentliche Durchschlagskraft verlieh, war die Tatsache, daß es sich als „wissenschaftliche Theorie“ tarnte.

Die sich nach vereinfachenden Lösungen sehnenden pseudointellektuellen Leser Chamberlains waren dem Autor für seinen „Schlüssel“ zur Enträtselung des „Sinns der Geschichte“ unendlich dankbar. So schrieb Wilhelm II. am 31. Dezember 1901 an den Autor der Grundlagen: „Da kommen Sie, mit einem Zauberschlage bringen Sie Ordnung in den Wirrwarr, Licht in die Dunkelheit; Ziele, wonach gestrebt und gearbeitet werden muß; Erklärungen für dunkel Geahntes, Wege, die verfolgt werden sollen zum Heil der Deutschen und damit zum Heil der Menschheit!“[21]

Cosima Wagner, die ähnlich euphorisch auf das Buch reagierte, schrieb am 15. Februar 1902 an Chamberlain: „Ihre ‚Grundlagen‘ [sind] das gelesenste Buch in allen Ständen, und bei der Begegnung, welche wir mit S. Majestät hatten, sagte der Kaiser zu wiederholten Malen: ‚Das meint Chamberlain auch‘. Eine bedeutendste Wirksamkeit ist Ihnen geworden, mein Freund.“[22]

Was in diesem Zusammenhang allerdings erstaunt, ist nicht nur die Tatsache, daß das Elaborat Chamberlains die Anerkennung unzähliger Dilettanten fand, sondern auch einer Reihe von Wissenschaftlern, die sich, ähnlich wie halbgebildete Leser der Grundlagen, nach einer Zauberformel sehnten, um mit ihrer Hilfe den schwer durchschaubaren Gang der Geschichte zu erfassen. Zu den „Verführten“ gehörte auch der wohl prominenteste protestantische Theologe der damaligen Zeit: Adolf von Harnack. Der Kirchenhistoriker Wolfgang Kinzig, der vor kurzem den Briefwechsel zwischen Harnack und Chamberlain herausgegeben hat, schreibt: „Es bleibt rätselhaft, wie ein so hochdifferenziert denkender Historiker der pathetischen Rhetorik und dem gleißenden Charme des philosophisch, theologisch und naturwissenschaftlich in jeder Hinsicht halbgebildeten Chamberlain gewissermaßen ‚auf den Leim gehen konnte‘.“ Dann fügt Kinzig hinzu: „Andere als Harnack waren da scharfsichtiger. Es genügt, Franz Overbecks beißende Äußerungen zu Chamberlain zu vergleichen, um gewahr zu werden, daß man der rhetorischen Verführungskunst des Publizisten nicht erliegen mußte, daß man Chamberlain als das erkennen konnte, was er war: [...] ein ‚Dilettant‘, der sich selbst zu ernst nahm, um als Dilettant so ganz ernst genommen zu werden.“[23]

Chamberlains Buch enthielt allerdings nicht nur „einfache“ Antworten auf die kompliziertesten Fragen der Menschheitsgeschichte, sondern auch eine Anleitung zum Handeln. Er zeigte, welche Mittel angewandt werden mußten, um den durch den Kampf zwischen der arischen und der semitischen Rasse geprägten Lauf der Geschichte in eine für das Ariertum heilsame Richtung lenken zu können. Er plädierte leidenschaftlich für die „karthaginische“ Lösung der semitischen Frage, d. h. für die physische Liquidierung des semitischen Gefahrenherdes nach dem römischen Vorbild von 146 vor Chr.:

„Eines [...] ist so klar wie die Sonne am Mittag: Wäre das phönizische Volk nicht ausgerottet, [...] so hätte die Menschheit dieses 19. Jahrhundert, auf welches wir jetzt, bei aller demütigen Anerkennung unserer Schwächen [...] doch mit Stolz [...] zurückblicken, niemals erlebt. Bei der unvergleichlichen Zähigkeit der Semiten hätte die geringste Schonung genügt, damit die phönizische Nation wieder entstehe; in einem nur halbverbrannten Karthago hätte ihre Lebensfackel unter der Asche wieder geglimmt, um, sobald das römische Kaiserreich seiner Auflösung entgegenging, von Neuem hell aufzulodern [...]. In den Juden haben wir eine andere und nicht weniger bedrohliche Abart des überall das Edle und Produktive zerfressenden Giftes zu erblicken, und man müßte blind oder unehrlich sein, wollte man nicht bekennen, daß das Problem des Judentums in unserer Mitte zu den schwierigsten und gefährlichsten der Gegenwart gehört.“[24]

Und weil die Juden, nach der Auslöschung der Phönizier, angeblich die größte verbliebene Gefahr für die arische Rasse darstellten, war Chamberlain den Römern unendlich dankbar für ihre „Vorarbeit“, für ihre andere Zerstörungstat, die „für die Weltgeschichte eine vielleicht ebenso unermeßliche Bedeutung“ hat, wie die Zerstörung von Karthago – für die Zerstörung von Jerusalem: „Ohne diese Tat [...] hätte das Christentum sich schwerlich jemals vom Judentum losgerissen. [... Wir] hätten also ein durch christliche Anregung reformiertes weltbeherrschendes Judentum erhalten.“[25]

In dieser Aussage ist einer der größten Widersprüche des ohnehin abstrusen Denkmodells Chamberlains enthalten. Denn dieser Verfechter eines „eliminatorischen“ Programms und geistiger Wegbereiter des Holocaust hielt sich für einen Christen! Im Gegensatz zu vielen anderen Rassisten von damals, die sich zu neuheidnischen Ideen bekannten und das Christentum für ein Werkzeug der Juden zur Zersetzung der arischen Rasse hielten,[26] schien Chamberlain mit dem herkömmlichen europäischen Menschenbild nicht derart radikal gebrochen zu haben. Und gerade aufgrund dieser scheinbaren Treue zur christlichen Tradition, entwickelte seine „Botschaft“ eine beinahe unwiderstehliche Anziehungskraft auf viele Vertreter des konservativen Establishments im Wilhelminischen Reich. Sie realisierten kaum, daß die Ideen Chamberlains mit der christlichen Überlieferung so gut wie keine Gemeinsamkeiten aufwiesen. Denn der Autor der Grundlagen setzte sich für das „arische“ bzw. „germanische“ Christentum ein, das vom „semitischen Gift“, nicht zuletzt vom „Alten Testament“, befreit werden sollte.[27] Die Juden bezeichnet er als ein durch und durch materialistisches Volk, dem jede religiöse Begabung fehle.[28] Bereits die Propheten des Alten Testaments hätten bezeugt, wie verdammenswert diese Nation der „Götzenverehrer“ sei. Aus diesem Grund konnte Christus, den Chamberlain für die bedeutendste religiöse Erscheinung der Menschheitsgeschichte hielt,[29] kein Jude gewesen sein. Als Galiläer sei er Angehöriger eines Volkes gewesen, das zwar die jüdische Religion praktizierte, aber sich mit den Juden nicht vermischte.[30]

Die abenteuerliche Theorie Chamberlains vom „nichtjüdischen“ Christen­tum hatte viele Bewunderer, und dies vor allem unter seinen konservativ gesinnten Lesern. Der bereits entmachtete Wilhelm II. schrieb am 12. März 1923 an Chamberlain: „Die Kirche muß den Entschluß fassen, mit dem Alten zu brechen und sich die Ergebnisse der Forschung zunutze machen. Ich für meinen Teil denke etwa wie folgt. Vor allem muß endlich gründlich gebrochen werden mit dem Glauben, der Jawe der Juden sei unser Herrgott.“[31]

Ein anderer Korrespondent Chamberlains, Prinz Max von Baden, beklagte sich über die „Herrschaft des Alten Testaments in Kirche und Staat“.[32]

Wie konnte Chamberlain sein Bekenntnis zu Christus mit der Propagierung der „karthaginischen“ Lösung, d. h. des Judenmords vereinbaren? Er tat dies nicht zuletzt durch eine Uminterpretation der Botschaft Christi, in deren Zentrum er nicht die Nächstenliebe, sondern folgende Sätze des Evan­geliums stellte: „Wer nicht für mich ist, der ist gegen mich“ (Lukas 11,23). Und „keine Erscheinung der Welt ist so genau ‚wider ihn‘ wie die jüdische Religion“, fügte Chamberlain hinzu.[33] Und auch ein anderer Satz des Evangeliums wurde von ihm in diesem Zusammenhang zitiert: „Meint ihr, ich sei gekommen, um Frieden auf die Erde zu bringen? Nein, sage ich euch, nicht Frieden, sondern Spaltung“ (Lukas 12,51).

Nicht die Liebe stand also im Zentrum des von Chamberlain propagierten „arischen“ Christentums, sondern Haß: „Aufrichtig gesagt, ich kann mir bei dem Begriff ‚Liebe‘ nichts vorstellen, wenn es nicht auch ein Ding gibt, das ‚Haß‘ heißt“, schreibt er in einem Brief an Adolf von Harnack. Er hasse das Schlechte, das Schändliche, das Gemeine, „dasjenige, was alle Tage, auf allen Gebieten alles, was mir hoch und heilig ist, beschmutzt, vergiftet, niederreißt, damit alles Edle an unserem lieben armen großen Europa rettungslos dem Untergang weihend – ich begreife nicht die Aufforderung, es zu lieben; mit allen Kräften meiner Seele hasse ich es, und hasse und hasse es!“[34]

Für die „Humanitätsduselei“ des modernen Europäers hatte Chamberlain nur Spott übrig. Sie habe den Aufstieg des Judentums erst ermöglicht: „Von idealen Beweggründen bestimmt öffnete der Indoeuropäer in Freundschaft die Tore: wie ein Feind stürzte der Jude hinein. Stürmte alle Positionen und pflanzte [...] auf den Breschen unserer echten Eigenart die Fahne seines uns ewig fremden Wesens auf.“[35]

Wie Chamberlain gegen diese aus seiner Sicht „tödliche Gefahr“ vorgehen wollte, hatte er bereits in seinem Kapitel über die Auslöschung der phönizischen Nation durch Rom dargestellt: „Bei der unvergleichlichen Zähigkeit der Semiten hätte die geringste Schonung genügt, damit die phönizische Nation wieder entstehe.“[36]

Chamberlain führte eine Reihe von Argumenten an, warum die jüdische Rasse unerbittlich bekämpft werden müsse:

„[Ihr] Dasein ist Sünde, ihr Dasein ist ein Verbrechen gegen die heiligen Gesetze des Lebens“ (Die Grundlagen, S. 443). [...]

„[Die] Grundlage jüdischer Religion schließt [...] ein direktes verbrecherisches Attentat auf alle Völker der Erde ein“ (S. 533). [...]

„[Die] verbrecherischen Hoffnungen [der Juden sondern] dieses Volk [...] gänzlich aus der leidenden, strebenden, schaffenden Menschheit, [machen] es [..] zu einem offenen oder versteckten Feind jedes anderen Menschen, zu einer Gefahr für jede Kultur“ (S. 535).

„Man kann das Judentum und seine Macht, sowie seine unausrottbare Lebenszähigkeit nicht verstehen, [..] solange man dieses Dämonisch-geniale in seinem Ursprung nicht erkannt hat. Es handelt sich hier wirklich um den Kampf Eines gegen Alle“ (S.541 f.).

So spricht Chamberlain eigentlich den Juden das Menschsein ab. In ihrem Buch über die Vordenker des Nationalsozialismus faßt Doris Mendelewitsch das Judenbild Chamberlains zusammen: „Alles, was zu einem richtigen Menschen gehört, fehlt den Juden; sie sind unschöpferisch, lediglich üble Rationalisten und Materialisten, ihr ‚religiöser Instinkt‘ ist verkümmert.“[37]

Mit dieser Enthumanisierung der Juden nahm Chamberlain im Grunde die rassistische These vom „lebensunwerten Leben“ vorweg, die später das NS-Regime mit einer beispiellosen Effizienz in die Wirklichkeit umsetzen sollte. Kein Wunder, daß der Autor der Grundlagen im „Pantheon“ der NSDAP einen Ehrenplatz einnahm.[38] Chamberlain sei „ohne Zweifel der wichtigste geistige Wegbereiter der nationalsozialistischen Bewegung“ gewesen, hebt Hermann Graf Keyserling in seinen Erinnerungen hervor.[39]

Zu dieser Einsicht war Keyserling allerdings recht spät gekommen. Seine unmittelbare Reaktion auf die Grundlagen sah ganz anders aus. Er bezeichnete sie nämlich als „Kunstwerk“.[40] Ähnlich dachten auch viele seiner Standesgenossen im Wilhelminischen Reich, dies ungeachtet der Apotheose eines Völkermords, die den roten Faden dieses „Kunstwerks“ darstellte. Dies zeigt, wie verbreitet damals der antisemitische „kulturelle Code“ (Shulamit Volkov)[41] in Deutschland war. Sogar Adolf von Harnack, der den Rassenantisemitismus vehement ablehnte, setzte sich mit der „Botschaft“ der Grundlagen nur milde auseinander. Im Oktober 1901 schrieb er an Chamberlain: „Nicht selten aber empfinde und beurtheile ich die Probleme noch complicirter als Sie und vermag daher nicht überall Ihren contradictorischen Urtheilen zu folgen.“[42]

Deutlicher wurde Harnack erst elf Jahre später, als er rassistische Passagen in Chamberlains Buch über Goethe anprangerte:

„Sie sind wirklich von einem antijüdischen Dämon besessen, der Ihnen den Blick trübt und Ihr herrliches Buch mit einem Flecken entstellt [...] Ich glaube nicht, daß die Vorsehung ein Schandvolk hervorgeführt hat; ich glaube überhaupt nur in sehr bedingter Weise innerhalb der einzelnen Zweige der Arier und der Semiten an scharfe Rassen-Charakterlinien. Ich bin überzeugt, daß erlebte Geschichte für ein Volk so viel bedeutet wie Anlage-Nuancen; ich glaube wie in bezug auf das Individuum so auch in bezug auf die Völker [...] an große Möglichkeiten der Verwahrlosung und der Perfektion, des Schlaffwerdens und sich Aufraffens.“[43]

Diese leidenschaftliche Kritik der Rassentheorie wurde aber am Ende des Briefes plötzlich abgemildert, und zwar im Sinne einer Konzession an den bereits erwähnten antisemitischen „kulturellen Code“: „Doch genug – der Jude soll hier nicht das letzte Wort haben. Vielmehr mag er nun ganz und gar verschwinden und zwischen uns sonst nur übrig bleiben die Überzeugung eines weiten und tiefen Gemeinsamen, das Sie an Goethe so herrlich dargestellt haben.“[44]

Die ambivalente Einstellung Harnacks zur jüdischen Frage und zu den Theorien Chamberlains war recht typisch für die Wilhelminische Zeit. Chamberlains Plädoyer für eine „karthaginische Lösung“ der jüdischen Frage war derart ungeheuerlich, daß es wohl von vielen seiner Bewunderer nicht so ganz ernstgenommen wurde. Denn es ließ sich mit dem europäischen Menschenbild der Fin-de-siècle-Epoche kaum vereinbaren; dies ungeachtet der Dreyfus-Affäre in Frankreich und der Judenpogrome in Rußland. Bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges, der das Ende des alten Europa und des „langen 19. Jahrhunderts“ einläutete, stellte das Programm Chamberlains im wesentlichen nur einen utopischen Entwurf dar – allerdings einen Entwurf, der eine außerordentliche revolutionäre Sprengkraft enthielt und einige Jahrzehnte später einem der größten Verbrechen in der Menschheitsgeschichte eine programmatische Grundlage verlieh. Denn im Gegensatz zu Gobineau, der den Verfall der arischen Rasse für unausweichlich hielt, sagte Chamberlain diesem „Verfallsgesetz“ einen unerbittlichen Kampf an. Er wollte es aus den Angeln heben, und zwar durch die Ausschaltung der aus seiner Sicht wichtigsten Ursache für den Verfall des Ariertums – der jüdischen Rasse. Joachim Köhler, der in seinem Buch Wagners Hitler detailliert die ideologische Kontinuität zwischen den Grundlagen des neunzehnten Jahrhunderts und Hitlers Mein Kampf aufzeigt, schreibt folgendes über das äußerst simple Chamberlainsche Programm: „Wer [...] die Ursache des Verfalls durchschaut hat, kann gar nicht anders als sie, um des eigenen Überlebens willen, zu vernichten“, und dann fügt Köhler hinzu: „Chamberlains eigenwillige, nach modernen Begriffen abwegige Geschichtstheorie sollte nur das Vorspiel abgeben zur großen erlösenden Tat.“[45]

Die Erlösung der arischen Rasse wurde von Chamberlain also als „Selbsterlösung“ konzipiert. Sie sollte ihre Willenskraft maximal mobilisieren, um dann mit einer besonderen Konsequenz gegen ihren angeblichen „Todfeind“ vorzugehen, und zwar bis zu seiner Beseitigung. Mit diesem quasi „gnostischen“ (Eric Voegelin) „Selbsterlösungskonzept“[46] läutete Chamberlain im Grunde das 20. Jahrhundert ein, das durch Ideologien geprägt war, die die Ausrottung von Menschen zur Grundvoraussetzung für die Errichtung von paradiesischen Zuständen erklärten.

Angesichts dieses Sachverhaltes ist es verwunderlich, daß Geoffrey G. Field, der zu den besten Kennern des Chamberlainschen „Werks“ zählt, den Charakter der Weltanschauung dieses unerbittlichen Verfechters des Judenhasses in einigen zentralen Punkten im Grunde verkennt. So schreibt Field:

“The anti-Semitism of Chamberlain and other Wilhelminian figures […] was not exterminatory: their most extreme utterances called vaguely for legislative restrictions which would have reduced Jews to the status of resident aliens with specific positions in society closed to them and no voice in political affairs. Most of the time these anti-Semites offered no solutions at all – their anti-Semitism was more of a ‘defensive’ creed, a language for defining German values and exhorting cultural rebirth, than an offensive prescriptive doctrine demanding specific action against Jews.”[47]

Field wirft also den Judenhaß Chamberlains mit den ideologischen Vorstellungen anderer profilierter Antisemiten der Wilhelminischen Epoche, die in der Tat in erster Linie an rechtliche Restriktionen gegenüber den Juden dachten, in einen Topf. Hier wäre z. B. der Vorsitzende des Alldeutschen Verbandes Heinrich Claß zu erwähnen, der in seinem 1912 unter dem Pseudonym D. Fryman veröffentlichten Buch Wenn ich der Kaiser wär’ die jüdische Frage folgendermaßen „lösen“ wollte:

„Eine Gesundung unseres Volkslebens [...] ist nur möglich, wenn der jüdische Einfluß entweder ganz ausgeschaltet oder auf das Maß des Erträglichen, Ungefährlichen zurückgeschraubt wird [...] Dahin gehören folgende Maßnahmen: den Juden bleiben alle öffentlichen Ämter verschlossen [...] Sie erhalten weder aktives, noch passives Wahlrecht. Der Beruf der Anwälte und Lehrer ist ihnen versagt; die Leitung von Theatern desgleichen. Zeitungen, an denen Juden mitarbeiten, sind als solche kenntlich zu machen. [...] Als Entgelt für den Schutz, den die Juden als Volksfremde genießen, entrichten sie doppelte Steuern wie die Deutschen.“[48]

Trotz ihrer außerordentlichen Infamie hatten die „Lösungsvorschläge“ von Claß mit dem „karthaginischen“ Szenario Chamberlains wenig gemein. Durch die Gleichsetzung des Programms typischer Wilhelminischer Antisemiten mit der „eliminatorischen Vision“ Chamberlains trägt Field erheblich zur Verharmlosung des Judenhasses des Autors der Grundlagen des neunzehnten Jahrhunderts bei.

Zwar hebt Field hervor, daß es Chamberlain „gelungen“ sei, den Pessimismus Gobineaus zu überwinden. Er habe im Gegensatz zum letzteren geglaubt, man könne den Niedergang der arischen Rasse durchaus aufhalten: „Chamberlain offered a more optimistic and messianic vision.“[49]

Daß der Optimismus Chamberlains mit seiner Überzeugung verbunden war, man könne durch die „karthaginische Lösung“ die wichtigste Ursache für den Verfall des Ariertums entfernen, wird von Field zu wenig berücksichtigt.

Wenig überzeugend ist auch die These Fields von der angeblich ambivalenten Einstellung Chamberlains zur jüdischen Frage.[50] Er bezieht sich dabei auf folgende Sätze der Grundlagen des neunzehnten Jahrhunderts:

„Man braucht nicht die authentische Hethiternase zu besitzen, um Jude zu sein, vielmehr bezeichnet dieses Wort vor allem eine besondere Art zu fühlen und zu denken; ein Mensch kann sehr schnell, ohne Israelit zu sein, Jude werden [...] Andererseits ist es sinnlos, einen Israeliten echtester Abstammung, dem es gelungen ist, die Fesseln Esra’s und Nechemia’s abzuwerfen, in dessen Kopf das Gesetz Mose und in dessen Herz die Verachtung Andrer keine Stätte mehr findet, einen ‚Juden‘ zu nennen“ (S. 544 f.).

Diese Äußerungen widersprechen in einer derart eklatanten Form der These Chamberlains vom jüdischen Blut, das andere Rassen angeblich unheilbar vergifte,[51] daß die oben zitierte Aussage, die den „nichtjüdischen“ Juden eine Über­lebenschance verspricht, nur als heuchlerisches Ablenkungsmanöver bezeichnet werden kann. Ähnlich sind auch scheinheilige Distanzierungen Chamberlains vom Antisemitismus zu bewerten, die man in seinem Schrifttum gelegentlich registriert. So schreibt er z. B. in einem seiner Briefe aus dem Jahre 1902: „Aggressiver Antisemitismus oder Geringschätzung des Jüdischen liegt mir ferne.“[52]

Wenn man bedenkt, daß diese Aussage aus dem Munde eines der Vordenker des Holocaust stammt, so kann man sie nur als perfide bezeichnen. Nicht weniger perfide ist die Widmung der Grundlagen des neunzehnten Jahrhunderts – dieses Plädoyers für die unerbittliche Bekämpfung der jüdischen Rasse. Denn hier wird ausgerechnet einem Vertreter dieser Rasse, dem Wiener Physiologen Julius Wiesner, der Chamberlains nicht abgeschlossene Promotion betreute, „Verehrung und Dankbarkeit“ bezeugt.[53]

Chamberlain sprengte eindeutig den Rahmen des „biederen“ Wilhelminischen Antisemitismus, was übrigens nicht nur für ihn selbst, sondern auch für einige andere prägende Vertreter des „Bayreuther Kreises“ galt. Dies wird von Field indirekt bestätigt, indem er über die Einstellung Cosima Wagners zum antisemitischen Programm des Hofpredigers und Leiters der judenfeindlichen Christlich-Sozialen Partei, Adolf Stoecker, berichtet. Sie hätte zunächst mit Stoecker große Hoffnungen verknüpft, dann habe sie sich aber von ihm enttäuscht abgewandt: „She found him rather naiv on race questions and rejected his emphasis upon conversion as a solution to the Jewish problem.“[54]

Chamberlain bemühte sich unablässig um die Popularisierung seines Programms zur „Lösung der Judenfrage“. In erster Linie in seiner Wahlheimat Deutschland hoffte er auf eine entsprechende Resonanz. Von seinem Geburtsland England begann er sich, im Laufe der Zeit immer stärker abzuwenden: „Ich halte [...] England für ein schon seit einem Menschenalter in rapider Degeneration begriffenes Volk“, schrieb er kurz nach dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges.[55]

„England ist ganz und gar in die Hände der Juden und der Amerikaner geraten“, fügte er im Januar 1917 in seinem Brief an Wilhelm II. hinzu: „Deswegen versteht keiner diesen Krieg, wenn er nicht die deutliche Vorstellung besitzt, daß es im tiefsten Grund der Krieg des Judentums und des mit ihm naheverwandten Amerikanentums um die Beherrschung der Welt ist.“[56]

So verband Chamberlain all seine Hoffnungen auf die Erlösung der Menschheit von der „jüdischen Gefahr“ mit Deutschland (seit 1885, also seit seinem 30. Lebensjahr bis zu seinem Tod im Jahre 1927 lebte Chamberlain in deutschsprachigen Ländern): „[Es] ist meine innere Überzeugung [...], daß das moralische und geistige Heil der Menschheit von dem abhängt, was wir das Deutsche nennen“, schreibt er 1901 an Kaiser Wilhelm II.: „Auf den Deutschen allein baut heute Gott“. Zwei Jahre später fügte er hinzu: „Die Würde des Menschen: das ist es, was jetzt in Deutschlands Händen ruht.“[57]

Allerdings waren die an Deutschland gerichteten Erwartungen Chamberlains mit einer Sorge verknüpft. Viele Deutsche hätten nämlich das Ausmaß der „jüdischen Gefahr“ nicht ausreichend realisiert und hielten an dem aus der Sicht Chamberlains verderblichen „Dogma der Rassengleichheit“ fest.[58] Besonders heftige Zornausbrüche Chamberlains riefen die Priester hervor, die „manches Grundfalsche über die [Rassenfrage] vorgebracht haben. Hier ist das kirchliche Christentum ein wahrer Fluch für die Menschheit geworden.“[59]

Nicht weniger bedrohlich war aus seiner Sicht das Wirken solch „beschränkter Köpfe“ wie Rudolf Virchow und anderer liberal gesinnter Professoren, die die Bedeutung der „Rasse als Grundlage aller außerordentlichen Leistungen“ leugneten.[60]

Um so größer war die Bewunderung Chamberlains für Richard Wagner, der „dem zunehmenden Einfluß der Juden in der deutschen Kunst warnend entgegentrat“[61] und die Deutschen dazu aufgerufen habe, „Veredler der Menschheit zu werden“.[62] (Seit 1908 war Chamberlain mit Wagners Tochter Eva verheiratet. Er lebte seit 1909 in Bayreuth, das durch den Einfluß der Wagnerschen „Ideen“ zu einem der wichtigsten Zentren des Antisemitismus in Deutschland wurde).

Dieses Wagnersche Ziel, so Chamberlain, lasse sich aber nur dann verwirklichen, wenn die Deutschen selbst „deutsch werden“,[63] und zwar nicht nur kulturell, sondern auch rassisch. Welch „gefährliche Folgen“ die Mißachtung der rassischen Reinheit haben könnte, beschrieb Chamberlain in einem seiner Briefe an Wilhelm II.:

„Ich kenne einen [...] echt deutschfühlenden Mann, der ein unverfälscht deutsches Mädchen heiratete und nun höchlich entsetzt ist, aus dieser Verbindung Kinder hervorgehen zu sehen, die alle so ausschauen, als wären sie aus assyrischen Monumenten losgelöst – die unverkennbarsten, widerwärtigsten Semitengesichter, die man sich denken kann, und die entsprechenden Anlagen. Die Mutter des guten Mannes war eben eine ‚Getaufte‘ gewesen und nun kommt – durch die Vermischung hervorgelockt – das rein Semitosyrische viel kräftiger zum Vorschein als vorher.“[64]

Um derartige Vermischungen zu verhindern, plädiert Chamberlain für ein „rassenbewußtes [...] einheitlich organisiertes und zielbewußtes Deutschland“.[65]

Kein Wunder, daß angesichts solcher Aussagen Hitler, Rosenberg, Himmler, Goebbels und andere NS-Größen Chamberlain für den geistigen Vorläufer der NS-Bewegung hielten.[66]

Das politische Testament Hitlers vom 29. April 1945 enthielt Passagen, die auch von Chamberlain hätten stammen können. Der „Führer“ des Dritten Reiches verpflichtete die Deutschen „zur peinlichen Einhaltung der Rassegesetze und zum unbarmherzigen Widerstand gegen den Weltvergifter aller Völker, das internationale Judentum.“[67]

Bis zur Endphase des Ersten Weltkrieges verband Chamberlain seine Hoffnungen auf die Verwirklichung der von ihm propagierten Rassenrevolution mit der deutschen Oberschicht. Er war stolz darauf, daß seine Bücher in den höchsten Adelskreisen eine große Resonanz erzielten. Diese Hoffnungen ließen aber allmählich nach, denn in ihrer Ablehnung des Judentums waren Vertreter des Hochadels und der Hofkreise bei weitem nicht so unerbittlich, wie Chamberlain selbst. Sogar solche Bewunderer der judenfeindlichen Grundlagen des neunzehnten Jahrhunderts wie Prinz Max von Baden oder Kaiser Wilhelm II. hatten jüdische Freunde oder Mitarbeiter. Man denke allein an Albert Ballin, Max Warburg oder Walther Rathenau. Max von Baden hatte sich in den Augen Chamberlains zusätzlich dadurch diskreditiert, daß er zum Wegbereiter der Parlamentarisierung des Wilhelminischen Reiches wurde. Da Chamberlain das parlamentarische System für die Verkörperung des Bösen hielt, stellte für ihn das Verhalten des Prinzen, der im Oktober 1918 zum ersten Kanzler einer gegenüber dem Reichstag verantwortlichen Regierung wurde, einen wahren Schock dar.[68]

Trotz dieser für Chamberlain enttäuschenden Haltung der deutschen Aristokraten betrachtete er weiterhin Deutschland als den größten Widersacher des Judentums und glaubte nach wie vor an die „deutsche Sendung“: „Der Glaube an deutsches Wesen [...] gehört für mich als ein Bestandteil zu meinem Gottesglauben“, schrieb er am 21. November 1918: „Ich habe die unerschütterliche Überzeugung nach wie vor – daß Gott den Deutschen für edle Zwecke der ganzen Menschheit zum Heile hat werden und wachsen lassen.“[69]

Und diese Hoffnung begann sich in den zwanziger Jahren zu materialisieren. Chamberlain traf nun einen Politiker, der das von ihm seit Jahrzehnten propagierte „Erlösungswerk“ verwirklichen könnte – Adolf Hitler.

Am 30. September 1923 fand ein Treffen zwischen den beiden Gesinnungsgenossen in Bayreuth statt. Eine Woche später schrieb Chamberlain an den Führer der NSDAP:

„Sehr geehrter und lieber Herr Hitler. [...] Sie haben Gewaltiges zu leisten vor sich [...] Mein Glauben an das Deutschtum hat nicht einen Augenblick gewankt, jedoch hatte mein Hoffen – ich gestehe es – eine tiefe Ebbe erreicht. Sie haben den Zustand meiner Seele mit einem Schlage umgewandelt. Daß Deutschland in der Stunde seiner höchsten Not sich einen Hitler gebiert, das bezeugt sein Lebendigsein [...] Ich durfte billig einschlafen und hätte auch nicht nötig gehabt, wieder zu erwachen. Gottes Schutz sei bei Ihnen!“[70]

Chamberlains Huldigungsschreiben war für den künftigen deutschen Diktator von unschätzbarem Wert. Denn Chamberlain galt seit dem Erscheinen der Grundlagen des neunzehnten Jahrhunderts als der „Chefideologe“ des „Bayreuther Kreises“.[71] Und nun lag Bayreuth, dank Chamberlain, Hitler zu Füßen, was den Führer der NS-Bewegung außerordentlich beflügelte. Hitler habe „sich über das Schreiben [...] wie ein Kind gefreut“, schreibt einer seiner Gesinnungsgenossen, Josef Stolzing-Czerny, in einem Brief an Eva Chamberlain vom 17. Oktober 1923.[72]

„Bayreuth verfügte im konservativen Lager über eine Macht, die sich nicht nach Wählerstimmen, sondern nach einflußreichen Persönlichkeiten und Verbänden zählen ließ“, schreibt Joachim Köhler: „Um das Ende der verhaßten Republik herbeizuführen, genügte es nicht, fanatischer Antisemit zu sein. Bayreuth brauchte einen Helden, der das rassische Ideal auch verwirklichen würde.“[73]

Und zu einem solchen Helden wurde nun Hitler auserkoren.

Chamberlains Glaube an Hitlers „Sendung“ wurde auch nach dem Scheitern des Münchner Putsches nicht erschüttert. In einem Flugblatt vom 1. Januar 1924 bezeichnete er den von ihm erwählten künftigen Vollstrecker seines Vermächtnisses als eine Art „Lichtgestalt“: Im Gegensatz zu den übrigen Politikern sei dieser „Gottessegen“ kein „Phrasendrescher“, sondern einer, der konsequent seine Gedanken zu Ende denke und furchtlos seine Folgerungen daraus ziehe.[74]

Hitler sprach seinerseits voller Bewunderung von den „wissenschaftlich“ begründeten „Erkenntnissen“ eines Houston Stewart Chamberlain, an denen „die offiziellen Stellen der Regierung [...] gleichgültig“ vorübergegangen seien.[75]

Goebbels bezeichnete seinerseits Chamberlain als den „Vater unseres Geistes“, den „Bahnbrecher“ und „Wegbereiter“.[76]

Die Errichtung des Dritten Reiches läßt sich insofern als ein postumer Sieg des 1927 verstorbenen Chamberlain bezeichnen. Der vom Autor der Grundlagen verklärte Hitler verfügte in der Tat über die von Chamberlain bewunderte Fähigkeit, Worte und Taten miteinander zu verbinden. Die am 30. Januar 1939 im Reichstag formulierte „Vision“ von der „Vernichtung der jüdischen Rasse in Europa“,[77] die eine Art Chamberlainsches Vermächtnis darstellte, begann der Führer des Dritten Reiches etwa zweieinhalb Jahre später buchstabengetreu zu verwirklichen.

Indes enthielt das Vermächtnis Chamberlains eine Komponente, die den NSDAP-Führer irritierte: „H. St. Chamberlains Irrtum war, an das Christentum als eine geistige Welt zu glauben“, sagte Hitler in einem seiner Monologe, der am 13. Dezember 1941 aufgezeichnet wurde.[78] Dies war die Zeit, in der der Genozid an den Juden bereits in vollem Gange war. Die Einsatzgruppen des SD und der Sicherheitspolizei, die unmittelbar nach dem Ausbruch des deutsch-sowjetischen Krieges am 22. Juni 1941 begonnen hatten, jüdische Männer massenhaft zu erschießen, dehnten diese Mordaktionen etwa Ende August auch auf die Frauen und Kinder aus.[79] Im Vernichtungslager von Chełmno im sogenannten „Warthegau“ fanden die ersten Vergasungen der Juden statt.

Chamberlains Bekenntnis zum Christentum, wenn auch zum sogenannten „arischen“ Christentum, stellte indes für die Vollstrecker seines Vermächtnisses ein Hindernis dar: „Das reine Christentum, das sogenannte Urchristentum [...] führt zur Vernichtung des Menschentums, ist nackter Bolschewismus in metaphysischer Verbrämung“ – dies war die These, die Hitler einen Tag nach seiner Auseinandersetzung mit dem „Irrtum“ Chamberlains verkündete.[80] Der letzte von der europäischen Zivilisation überlieferte „Ballast“ wurde nun abgeworfen. Der „Endlösung der Judenfrage“ stand nichts mehr im Wege.

So wurde die von Chamberlain an der Schwelle des 20. Jahrhunderts entwickelte Utopie etwa in der Mitte dieses „Jahrhunderts der Extreme“, zumindest auf dem europäischen Kontinent, beinahe vollständig verwirklicht. Es gehörte zum Wesen dieses Jahrhunderts, daß es die Zeit der Realisierung manch utopischer Träume war, die früher als undurchführbar galten. Im 19. Jahrhundert habe man sich oft darüber beklagt, daß die Utopien zwar schön seien, sich aber nicht verwirklichen ließen, schreibt der russische Philosoph Nikolaj Berdjaev in seinem Buch Das Neue Mittelalter. Im 20. Jahrhundert sei die Menschheit mit einer ganz anderen Erfahrung konfrontiert worden. Utopien seien leichter realisierbar, als man dies zunächst angenommen habe. Die Frage, die sich nun stelle, sei, wie man die Verwirklichung von Utopien verhindern könne.[81]

Und in der Tat prägten die Protagonisten der utopischen Entwürfe das politische Geschehen des 20. Jahrhunderts, vor allem seine erste Hälfte, und drängten ihre liberal-demokratischen Gegner, die nicht in den „Endzeit-Kategorien“ dachten und die Politik als die „Kunst des Möglichen“ verstanden, in die Defensive. Etwa 1940 wurde beinahe der gesamte europäische Kontinent von zwei totalitären Leviathanen beherrscht, die utopische Visionen zu realisieren suchten, welche in zwei programmatischen Schriften entwickelt worden waren, die um die Jahrhundertwende entstanden. Neben den Grundlagen des neunzehnten Jahrhunderts handelt es sich hier um die drei Jahre später veröffentlichte Abhandlung Lenins Was tun?

Der Angriff von links

Als Lenin seine Schrift verfaßte, befand sich die gesamte II. Internationale mitten im Revisionismusstreit, der zeigte, daß die utopischen Energien, über welche die marxistische Bewegung in den früheren Jahrzehnten noch verfügt hatte, allmählich versiegten. Die sozialdemokratischen Parteien des Westens befaßten sich immer stärker mit parlamentarischen, gewerkschaftlichen oder kommunalpolitischen Fragen und keineswegs mit revolutionären Endzielen. Dieses Versinken in Alltag und Routine empörte viele Sozialdemokraten, die sich dem Vermächtnis des Kommunistischen Manifestes noch verpflichtet fühlten. Dennoch gerieten sie innerhalb ihrer jeweiligen Parteien in eine immer größere Isolation. Besonders deutlich spiegelte sich dieser Sachverhalt am politischen Schicksal Rosa Luxemburgs und Alexander Helphands (Parvus) wider, die zu den originellsten sozialdemokratischen Theoretikern der Jahrhundertwende zählten. Beide wiesen mit einer besonderen Schärfe die Thesen Eduard Bernsteins zurück. Die Revision der Parteigrundsätze sei nur nach links, nicht nach rechts möglich, schrieb Parvus im SPD-Organ Die Neue Zeit, und zwar „auf dem vom wissenschaftlichen Sozialismus gewonnenen Boden des sozialrevolutionären proletarischen Klassenkampfes, nicht auf dem von ihm verlassenen Boden der sozialreformatorischen Utopisterei.“[82] Für Rosa Luxemburg wiederum bedeutete der Verzicht des Proletariats auf den revolutionären proletarischen Klassenkampf eine Hinnahme der bestehenden Herrschaftsverhältnisse, eine Kapitulation vor ihnen. Zugleich warf sie Bernstein folgendes vor: „[Bernstein] hatte damit angefangen, das Endziel um der Bewegung willen aufzugeben. Da es aber tatsächlich keine sozialdemokratische Bewegung ohne das sozialistische Endziel geben kann, so endet er notwendig damit, daß er auch die Bewegung selbst aufgibt.“[83]

Die Schärfe, die Rosa Luxemburg und Parvus in die innerparteiliche Polemik einbrachten, galt manchen westlichen Sozialdemokraten als Zeichen der „russischen Unduldsamkeit“ (Rosa Luxemburg stammte aus dem russischen Teil Polens, Parvus wurde in der Nähe von Minsk geboren und wuchs in Odessa auf). Beide galten innerhalb der SPD als exzentrisch und konnten sich mit ihren Standpunkten nicht durchsetzen. So wurde Rosa Luxemburg mehrmals von der SPD-Führung für ihre allzu radikale Haltung gerügt.[84] Parvus seinerseits verließ 1910 resigniert Deutsch­land und ließ sich in der Türkei nieder, um eine völlig neue Seite seiner Biographie aufzuschlagen.[85]

Die Visionen des Kommunistischen Manifestes von der Abschaffung des Privateigentums und von der Errichtung einer klassenlosen Gesellschaft inspirierten etwa 1914, kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges, lediglich radikale Ränder der Arbeiterbewegung. Drei Jahre später wurden indes Vertreter dieser Richtung zu Alleinherrschern in einem der größten Reiche der Erde. Die Utopie gelangte an die Macht, kann man mit dem Buchtitel der russischen Exilhistoriker Nekrič und Geller über die Geschichte der Sowjetunion sagen.[86] Warum wurde ausgerechnet Rußland zum Experimentierfeld der marxistischen Utopisten? Aus der Sicht der Klassiker des Marxismus war dieses Land für eine Verwirklichung der Visionen des Kommunistischen Manifestes denkbar ungeeignet. Um die Jahrhundertwende war es im wesentlichen noch ein Agrarland, in dem die Industriearbeiterschaft nur eine verschwindende Minderheit der Bevölkerung darstellte. Abgesehen davon war Rußland zu Lebzeiten von Marx und Engels noch eine autokratische Monarchie, die das Prinzip der Gewaltenteilung, wenn man von der unabhängigen Gerichtsbarkeit (seit 1864) absieht, nicht kannte. So fehlten Rußland alle Voraussetzungen für die Entwicklung einer erfolgreichen sozialdemokratischen Bewegung nach westlichem Muster. Rußland stehe am Vorabend einer Revolution, meinte Engels 1875, aber es werde keine sozialistische Revolution sein, weil das russische Bürgertum und das Industrieproletariat sich auf einer äußerst niedrigen Entwicklungsstufe befänden. Die Umwälzung, die sich in Rußland anbahne, sei eine Revolte gegen „die letzte bisher intakte Reserve der gesamteuropäischen Reaktion.“[87] Während der Revolution von 1848 riefen Marx und Engels in ihrem Blatt Neue Rheinische Zeitung die westlichen Völker zu einem revolutionären Kreuzzug gegen das Zarenreich auf. Engels erinnert sich: „Die auswärtige Politik [der Neuen Rheinischen Zeitung – L.L.] war einfach: Eintreten für jedes revolutionäre Volk, Aufruf zum allgemeinen Krieg des revolutionären Europas gegen den großen Rückhalt der europäischen Reaktion – Rußland.“[88] Die Ironie der Geschichte, von der Marx und Engels in Anlehnung an Hegel so oft gesprochen hatten, sollte sich an ihnen rächen. Denn ausgerechnet in diesem Land, das aus ihrer Sicht für eine proletarische Revolution völlig ungeeignet war, sollte zum ersten Mal in der Geschichte eine marxistische Partei an die Macht kommen.

Die ersten marxistischen Gruppierungen entstanden in Rußland in den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts. Sie befanden sich von Anfang an in einer paradoxen Situation. Als unerbittliche Kritiker des kapitalistischen Systems mußten sie zugleich für die Entwicklung des Kapitalismus in Rußland eintreten. Denn nur auf diese Weise war das notwendige Fundament für die Schaffung der späteren sozialistischen Gesellschaft zu errichten. Als kompromißlose Gegner der Bourgeoisie mußten sie zugleich für den Sieg einer bürgerlichen Revolution in Rußland kämpfen, denn nach den klassischen Lehrbüchern des Marxismus mußten bürgerliche Revolutionen den proletarischen vorausgehen. In dieser bürgerlichen Revolution sollte aber das Industrieproletariat paradoxerweise eine maßgebliche Rolle spielen. 1891 sagte der Ahnherr des russischen Marxismus, Georgij Plechanov, das russische Industrieproletariat stelle die erste revolutionäre Kraft in der russischen Geschichte dar, die imstande sei, die Autokratie zu stürzen und Rußland in die Gemeinschaft der zivilisierten Völker zu führen.

Die Hoffnungen, die die russischen Marxisten mit dem Industrieproletariat verknüpften, waren nicht unbegründet. Die entwurzelten Industriearbeiter waren viel beweglicher und für die revolutionäre Propaganda wesentlich empfänglicher als die Bauern, welche traditionellen Weltbildern verhaftet waren. Die Verbreitung der revolutionären Propaganda unter den russischen Industriearbeitern wurde auch dadurch begünstigt, daß es sich bei den russischen Industriebetrieben oft um gigantische Unternehmen mit Tausenden von Beschäftigten handelte.[89] So konnten sich revolutionäre Parolen hier wie ein Lauffeuer verbreiten. Daß die Industriegiganten die russische industrielle Landschaft derart stark prägten, hatte mit der verspäteten Industrialisierung Rußlands zu tun. Man spricht in diesem Zusammenhang sogar vom Privileg der Rückständigkeit. So müssen Nationen, die sich später als andere modernisieren, nicht unbedingt den gesamten Entwicklungsweg ihrer Vorgänger wiederholen. Sie stützen sich von Anfang an auf die Ergebnisse des Modernisierungsprozesses der hochentwickelten Staaten, übernehmen sofort die letzten technologischen Errungenschaften. Und die Produktionskonzerne stellten im Westen zur Zeit der Industrialisierung Rußlands – also um die Jahrhundertwende – das letzte technologische Wort dar. So übernahm das Zarenreich die modernsten technologischen Strukturen des Westens, lehnte aber eine Modernisierung seiner gesell­schaftlichen und politischen Strukturen ab. Auch dies trug zur Radikalisierug der Lage im Lande bei.

Bis zur Revolution von 1905 existierten in Rußland legal keine unab­hängigen Arbeiterorganisationen. Deshalb war eine Kanalisierung bzw. Institutionalisierung des gesellschaftlichen Protestes nicht möglich. Beinahe jede Arbeiterdemonstration führte zu gewalttätigen Zusammenstößen mit der Polizei. Nicht zuletzt deshalb zeichnete sich die russische Industriearbeiterschaft durch eine außerordentliche Militanz aus. Auf diese radikal eingestellten Industriearbeiter stützte sich auch die 1898 entstandene Sozialdemokratische Arbeiterpartei Rußlands. Nach dem Abflauen der revolutionären Woge im Westen nach 1849 verlagerte sich das revolutionäre Zentrum des Kontinents nach Rußland. Hier fand eine ununterbrochene Verschärfung der politischen Konflikte und eine Polarisierung der Gesellschaft statt, so wie Marx und Engels dies für den Westen vorausgesagt hatten. Dessenungeachtet schien der gigantische zarische Machtapparat zu Beginn des 20. Jahrhunderts beinahe allmächtig und den revolutionären Gruppierungen unterschiedlichster Couleur erdrückend überlegen zu sein. In dieser Konstellation entstand die Schrift Was tun?, die für die Geschichte der marxistischen Bewegung eine nicht weniger prägende Bedeutung haben sollte als das Kommunistische Manifest.

Ähnlich wie Chamberlain glaubte auch Lenin an die Gesetzmäßigkeit der geschichtlichen Entwicklung, wollte aber zugleich – hier wiederum eine Parallele zum Autor der Grundlagen – die spontanen historischen Prozesse voluntaristisch beeinflussen. Diese Analogien im Denken der beiden Autoren verblüffen, wenn man bedenkt, daß Chamberlain sich an ein Welt­bild anlehnte, das von einem grenzenlosen Pessimismus geprägt war (Gobineaus These vom permanenten Zersetzungsprozeß der weißen Rasse) während Lenin von Marx einen grenzenlosen Optimismus (unausweichlicher Sieg der proletarischen Revolution) geerbt hatte.

Durch sein „karthaginisches Modell“ wollte Chamberlain, wie bereits gesagt, zeigen, daß die pessimistische Sicht Gobineaus unbegründet sei. Der Verfall der arischen Rasse lasse sich aufhalten, wenn der wichtigste Verursacher dieses Prozesses – das Judentum – ausgeschaltet werde. So rief er die arische Rasse dazu auf, mit einer übermenschlichen Willensanstrengung ein rassisches „Paradies auf Erden“ zu erschaffen.

Auch Lenin war durch die Vision eines Paradieses auf Erden, diesmal eines sozialen, inspiriert, das, ähnlich wie bei Chamberlain, durch einen Willensakt errichtet werden sollte. Evolutionäre Lösungen der Arbeiterfrage für die sich westliche „Revisionisten“ und ihre russischen Gesinnungsgenossen einsetzten, die in erster Linie für eine allmähliche Verbesserung der wirtschaftlichen Lage der Proletarier kämpften, lehnte er rundweg ab. Dies lenke vom eigentlichen Ziel, der Zerstörung der bestehenden Gesellschaft, nur ab. Lenins Heilserwartungen waren denjenigen von Marx und Engels, die sich im Kommunistischen Manifest spiegelten, nicht unähnlich.[90] Auch er schien in einer beinahe frühchristlichen Manier zu verkünden: Die Erlösung ist nah. Wer aber ist der Erlöser? Für Marx und Engels verkörperte das Proletariat, das von der Ursünde der Menschheit – der Ausbeutung anderer Menschen – frei war, den neuen Heiland. Beide erwiesen sich aber als falsche Propheten. Denn das Ziel der überwältigenden Mehrheit der Industriearbeiter war keineswegs die Errichtung eines „Reiches der Freiheit“ anstelle einer Klassengesellschaft, sondern ein bescheidener Wohlstand innerhalb der bestehenden Gesellschaft, den sie um die Jahrhundertwende, zumindest im Westen, auch erreichten. Sie waren für utopistische Entwürfe weltfremder Intellektueller kaum zu gewinnen.

Diese „Erosion des Utopischen“ konnte Lenin, der die Jahre 1900–1917 mit kurzer Unterbrechung im westlichen Exil verbrachte, aus nächster Nähe beobachten. Die Enttäuschung über den Marxschen „Heiland“ stellt den roten Faden der Schrift Was tun? dar. Spontan, aus eigener Kraft, gelangten die proletarischen Massen nur zu einem „trade-unionistischen“ Bewußtsein, führte Lenin aus. Das sozialistische Bewußtsein, das Streben nach der Erschaffung einer neuen, nie dagewesenen Welt, könne ihnen nur eine Avantgarde vermitteln: „[Die] Arbeiter [konnten] ein sozialdemokratisches Bewußtsein gar nicht haben. Dieses konnte ihnen nur von außen gebracht werden.“[91]

Um diese Avantgarde-Theorie vom Geruch des Ketzerischen zu befreien, berief sich Lenin auf eine der wichtigsten theoretischen Instanzen in der damaligen marxistischen Bewegung – auf Karl Kautsky –, der in der Neuen Zeit von 1901/02 folgendes sagte:

„Das moderne sozialistische Bewußtsein kann nur entstehen auf Grund tiefer wissenschaftlicher Einsicht [...]. Der Träger der Wissenschaft ist aber nicht das Proletariat, sondern die bürgerliche Intelligenz; in einzelnen Mitgliedern dieser Schicht ist denn auch der moderne Sozialismus entstanden und durch sie erst geistig hervorragenden Proletariern mitgeteilt worden.[...]. Das sozialistische Bewußtsein ist also etwas in den Klassenkampf des Proletariats von außen Hineintragendes, nicht etwas aus ihm urwüchsig Entstandenes.“ [92]

So war Lenins Skepsis in bezug auf die Fähigkeit des Proletariats zum eigenständigen, bewußten Handeln auch anderen marxistischen Theoretikern eigen. Diese Skepsis und die Hervorhebung der Rolle der Avantgarde allein hätten die bahnbrechende Bedeutung von Was tun?, die sich mit derjenigen des Kommunistischen Manifestes messen läßt, kaum erklären können. Dazu trugen in erster Linie andere Thesen Lenins, so vor allem diejenigen über die revolutionäre Taktik, bei. Denn im Gegensatz zum Kommunistischen Manifest stellten nicht ideologische, sondern taktische Fragen den Kern von Was tun? dar. [93] Dabei führte Lenin eine Art „Zweifrontenkrieg“: sowohl gegen die ideologische Unbeholfenheit der Massen als auch gegen die organisatorische Unbeholfenheit der marxistischen Intellektuellen in Rußland.[94] Die letzteren hatten es nicht vermocht, eine Organisation zu gründen, die imstande gewesen wäre, sowohl die Massen zu führen als auch die zarische Autokratie herauszufordern. Deshalb träumte Lenin von einer straff disziplinierten, zentral geführten Verschwörerorganisation von Berufsrevolutionären: „Gebt uns eine Organisation von Revolutionären, und wir werden Rußland aus den Angeln heben!“[95]

Auf den ersten Blick schien Lenins Vorhaben völlig utopisch zu sein. Wie konnte die soeben entstandene sozialdemokratische Bewegung Rußlands, die aufgrund des autokratischen Charakters der Zarenmonarchie so gut wie keine Möglichkeiten besaß, öffentlich zu agieren, den damals als übermächtig geltenden zarischen Militär-, Polizei- und Staatsapparat herausfordern? Lenin räumte selbst ein, daß die Sozialistengesetze Bismarcks im Vergleich zum Unterdrückungssystem des Zarenregimes lächerlich anmuteten: „Dem russischen Proletariat [...] steht der Kampf gegen ein Ungeheuer bevor, mit dem verglichen das Sozialistengesetz in einem konstitutionellen Lande als wahrer Zwerg erscheint.“[96] Dessenungeachtet hielt Lenin die Lage der russischen Marxisten keineswegs für aussichtslos. Denn es gab in der russischen Geschichte bereits einen Präzedenzfall, als eine kleine, aber straff organisierte Verschwörergruppe imstande war, den mächtigen russischen Staat in Atem zu halten und ihn in seinen Grundfesten zu erschüttern. Dies war die Bewegung der Narodniki, nicht zuletzt die 1879 gegründete Terrororganisation Narodnaja Volja, die 1881 den Zaren Alexander II., der in die russische Geschichte als „Zar-Befreier“ einging, ermordete. Lenin bewunderte die Taktik der Narodovol’cy und prangerte lediglich deren „falsche“ Ideologie an. Sie waren eben keine Marxisten.[97] Die dagegen in Was tun? konzipierte Organisation von Berufsrevolutionären – die „Partei neuen Typs“ – sollte den revolutionären Impetus, der die Narodnaja Volja ausgezeichnet hatte, mit dem marxistischen Programm verbinden – dies werde sie unbesiegbar machen.

Lenins Voraussage sollte sich auch erfüllen. Denn die Verbindung der chiliastischen Träume der russischen Intelligencija mit dem marxistischen Utopismus unter dem Dach einer Organisation von Berufsrevolutionären, die Lenin ein Jahr nach der Veröffentlichung von Was tun? gründen sollte, stellte einen Wendepunkt in der Geschichte Rußlands und der gesamten Arbeiterbewegung dar. Bis dahin galt die SPD als Vorbild für alle marxistischen Parteien Europas. Ihre organisatorische Stärke, ihre Effizienz machte sie zu einem eben­bürtigen Kontrahenten des preußischen Staates, an dessen Aufbaustrukturen sie sich, wie Thomas Nipperdey hervorhebt, in mancher Hinsicht anlehnte.[98] Preußen bzw. das Deutsche Reich war allerdings, trotz der Sozialistengesetze Bismarcks, ein Rechtsstaat, der den politischen Parteien unzählige Möglichkeiten bot, sich legal zu betätigen. Alle diese Möglichkeiten existierten in Rußland bis 1905 (bis zum Oktobermanifest des Zaren, das den Untertanen die Grundrechte versprach) nicht. So konnte die von Lenin 1902 konzipierte „Partei neuen Typs“ sich nicht an die legal agierende SPD anlehnen. Dies war allerdings nicht der einzige Grund, warum die SPD für Lenin als Vorbild nicht in Frage kam. Als er die Sozialistengesetze Bismarcks, die den Höhepunkt der Unterdrückung der deutschen Arbeiterbewegung verkörpern, der Lächerlichkeit preisgab, wollte er quasi sagen, daß die SPD sich unter „Treibhausbedingungen“ entwickele. Der deutsche Staat erzeuge also keinen ausreichenden Druck, um die SPD zu einem entsprechenden revolutionären Gegendruck zu zwingen. Ein derartiger Gegendruck könne im Grunde nur in Rußland entstehen, denn nur hier nehme die Repression für europäische Verhältnisse beispiellose Ausmaße an. Diese Ausnahmesituation – der Kampf gegen die „mächtigste Bastion der europäischen Reaktion“ – verleihe dem russischen Proletariat eine Sonderfunktion. Sollte das russische Proletariat seiner Aufgabe gewachsen sein, werde es eine führende Rolle in der internationalen Arbeiterbewegung übernehmen, werde zu ihrer Avantgarde:

„Die Geschichte hat uns jetzt die nächste Aufgabe gestellt, welche die revolutionärste von allen nächsten Aufgaben des Proletariats irgendeines anderen Landes ist. Die Verwirklichung dieser Aufgabe, die Zerstörung des mächtigsten Bollwerks nicht nur der europäischen, sondern [...] auch der asiatischen Reaktion, würde das russische Proletariat zur Avantgarde des internationalen revolutionären Proletariats machen“ [99]

Diese Worte Lenins von 1902 klangen ketzerisch. Für die traditionsbewußten Arbeiterparteien des Westens waren die damaligen Entwicklungen im vormodernen, autokratischen Rußland auf die hochentwickelten Industrieländer des Westens nicht übertragbar und daher im Grunde irrelevant.

Lenin selbst schien die These vom russischen Proletariat als Avantgarde nur en passant formuliert zu haben. Er hatte sie nicht weiter vertieft und äußerte immer wieder seine Bewunderung für die SPD und träumte davon, daß die russischen Sozialdemokraten eines Tages auch ihre Bebels und Liebknechts haben würden.[100] Handelte es sich also bei Lenins Traum von der führenden Rolle des russischen Proletariats lediglich um einen kurzen emotionalen Ausbruch ohne Folgen? Wohl kaum. Seine beißende Kritik am britischen Trade-unionismus und am deutschen Revisionismus zeigt, daß er am revolutionären Temperament der westlichen Marxisten immer stärker zu zweifeln begann. Und diese Zweifel waren nicht unbegründet. Um die Jahrhundertwende schien der Marxismus in einem immer stärkeren Ausmaß den Charakter einer behäbigen Wirtschaftslehre anzunehmen. Immer weniger klang er nach einer revolutionären Anleitung zum Handeln. Nicht zuletzt aus diesem Grund hatten die zarischen Behörden zunächst keine Einwände gegen die Verbreitung des Marxismus in Rußland, der im Vergleich zu manchen anderen revolutionären Strömungen im Lande gemäßigter und friedfertiger schien.[101] Ohne Lenin und dessen 1903 gegründete bolschewistische Partei – eine „Partei neuen Typs“ – hätte der russische Marxismus wahrscheinlich in der Tat einen ähnlich reformistischen Charakter wie im Westen angenommen. Lenins Kontrahenten auf dem 2. Kongreß der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Rußlands, der mit der Spaltung der Partei endete – die „Menschewiki“ –, wollten sich buchstabengetreu an die auf den Westen zugeschnittenen marxistischen Modelle anlehnen. Sie, und nicht Lenin, waren die eigentlichen orthodoxen Marxisten. Lenin hingegen, der revisionistische Strömungen im Marxismus in Bausch und Bogen verdammte, war in Wirklichkeit ein „Revisionist“. Dies zuzugeben kam aber für ihn nicht in Frage. Trotz umwälzender Veränderung mancher Grundsätze des klassischen Marxismus hielt er sich selbst für einen orthodoxen Marxisten, gelegentlich sogar „für den einzigen orthodoxen Marxisten auf Erden“ (Bertram Wolfe).[102] Den Versuchen der Menschewiki, sich an den „gezähmten“ westlichen Marxismus anzupassen, sagten Lenin und die Bolschewiki einen unversöhnlichen Kampf an. Und gerade wegen ihrer Unversöhnlichkeit übte diese zunächst winzige Partei eine beinahe unwiderstehliche Kraft auf diejenigen Gruppen im Lande aus, die die bestehende wirtschaftliche, politische und soziale Ordnung gänzlich zertrümmern wollten. Lenin profitierte davon, daß das Zarenreich seit etwa dem gescheiteren Dekabristenaufstand von 1825 von einer immer radikaler werdenden revolutionären Gärung erfaßt wurde. Kein Wunder, daß die aus dem Westen importierten Lehren in Rußland eine besonders radikale Interpretation erfuhren. Gemäßigte Kräfte im oppositionellen Lager, die vor den verheerenden Folgen der Verklärung der Revolution warnten, konnten eine zunehmende Polarisierung im Lande nicht verhindern. Rußland steuerte, wenn auch nach einigen Umwegen, auf eine totale Konfrontation zwischen Staat und Gesellschaft, zwischen Oben und Unten zu. Lenin fühlte sich in seinem Element. Trotz der weitgehenden Isolierung der Bolschewiki innerhalb der politischen Klasse Rußlands gelang es ihnen, insbesondere nach dem Sturz des Zaren im Februar/März 1917, das Land in die von Lenin gedanklich vorweggenommene Richtung zu drängen. Deshalb bezeichnet der aus der Sowjetunion emigrierte Historiker Abdurachman Avtorchanov die russische Revolution als eine Revolution nach einem vorgefertigten Plan, dem Leninschen Plan, dessen erster Teil in der Schrift Was tun? entworfen worden sei.[103] Bertram Wolfe fügt hinzu: Lenins „Partei neuen Typs“ sei so konzipiert gewesen, daß eine Duldung anderer Parteien für sie nicht in Frage kam. Eine solche Partei könne ohne jegliche Rücksicht auf den Reifegrad des Proletariats die Macht ergreifen, sie proklamiere sich selbst zu einer Avantgarde des Proletariats und zwinge ihre eigenen Bedingungen der Gesellschaft im Namen des Proletariats auf, und dem Proletariat im Namen seiner eigenen Avantgarde.[104]

So steht für Wolfe und Avtorchanov, ähnlich wie für viele andere Sowjetologen (L. Haimson, M. Fainsod, L. Schapiro, A. Meyer u. a.) eindeutig fest, daß die in Was tun? entworfene Konzeption das künftige Vorgehen Lenins und der von ihm 1903 gegründeten bolschewistischen Partei entscheidend prägte. Diese durch unzählige Fakten aus der Geschichte des Bolschewismus bestätigte These wurde vor kurzem von der russischen Historikerin Anna Krylova in Frage gestellt. Für sie bildet das in Was tun? entwickelte Modell nur eine Episode in der Geschichte des russischen Marxismus bzw. des Bolschewismus, die mit der Revolution von 1905 zu Ende ging. Damals habe Lenin die Bedeutung der revolutionären Instinkte der Proletarier schätzen gelernt und seine skeptische Haltung gegenüber den Massen revidiert.[105] Daß Lenins Einstellung gegenüber den revolutionären Instinkten der proletarischen (aber auch der bäuerlichen) Massen rein instrumentalistisch war, läßt Anna Krylova außer acht. Diese Instinkte sollten lediglich ausgenutzt werden, um die bestehende Ordnung zu zerstören und der „Partei neuen Typs“ die Alleinherrschaft zu ermöglichen. Nach dem Erreichen dieses Ziels stand die „Spontaneität“ der Massen der Partei, die nun die russische Wirklichkeit an die marxistische Utopie anpassen wollte, bereits im Wege und sollte „gezähmt“ werden. Diejenigen Bolschewiki, die die Bevormundung der Massen durch die Partei, genauer: durch die Parteiführung, anprangerten, wurden von Lenin einer infantilen Haltung bezichtigt. In seiner Schrift Der linke Radikalismus, die Kinderkrankheit des Kommunismus vom Mai 1920 wandte sich Lenin gegen diejenigen Kommuni­sten, die von einer „Diktatur der Parteiführer“, von einer Parteioligarchie sprachen. Derartige Vorwürfe zeugten Lenins Ansicht nach „von einer ganz unglaublichen und uferlosen Begriffsverwirrung.“ Dann fügte er hinzu: „Daß die Klassen gewöhnlich [...] von politischen Parteien geführt werden, daß die politischen Parteien in der Regel von [...] den einflußreichsten, erfahrensten [...] Personen geleitet werden, die man Führer nennt, das alles sind Binsenwahrheiten. Das alles ist einfach und klar.“ [106]

Eine direkte Verbindungslinie zwischen den Gedankengängen Lenins vom Jahre 1902 und denjenigen vom Jahre 1920 ist, trotz aller Zweifel von A. Krylova, unverkennbar. Die bolschewistische Diktatur war also in der Tat bereits in Was tun? im Keime antizipiert, ähnlich wie die Konturen des Holo­caust in den Grundlagen Chamberlains bereits deutlich zu sehen waren.

Als diese beiden Prologe der totalitären Doppelrevolution des 20. Jahrhunderts entstanden, schien das alte Europa trotz des Rüstungswettlaufs, des chauvinistischen Wahns im Westen und des revolutionären Wahns in Rußland so stabil und mächtig zu sein wie nie zuvor. Die radikalsten Gegner der herrschenden Ordnung, so vor allem die marxistisch orientierte Arbeiterbewegung, wurden in das bestehende System, sieht man einmal von Rußland und Italien ab, integriert. Die wirtschaftliche Konjunktur befand sich nach der Überwindung der Gründerkrise von 1873 in einem fortwährenden Aufwärtstrend. Gemeinsam mit den USA teilten sich die europäischen Staaten praktisch den ganzen Erdball auf. Angesichts dieser scheinbaren Festigkeit des Bestehenden muteten die Visionen Chamberlains und Lenins von der Zerstörung der alten und der Erschaffung einer neuen Welt besonders wirklichkeitsfremd an. Diese Stabilität Europas beeindruckte sogar die beiden „Visionäre“, die daran zweifelten, daß sie die Verwirklichung ihrer Träume noch erleben würden. Als Lenin nach der gescheiterten Revolution von 1905 erneut ins schweizerische Exil fliehen mußte, sagte er, er habe nun das Gefühl, sich ins Grab zu legen.[107] Ähnlich erging es Chamberlain in der Vorkriegszeit, als seine Bücher zwar viele Leser fanden, er aber mit seinen Aufrufen zur „karthaginische Lösung“ der jüdischen Frage keine breite Bewegung zu entfachen vermochte. Erst nach dem Selbstmord des alten Europa infolge der „Urkatastrophe“ von 1914–1918 erhielten die „furchtbaren Vereinfacher“ der Vorkriegszeit eine Chance, mit ihren „Visionen“ die Welt grundlegend zu verändern.

Abschließend möchte ich noch auf die Frage eingehen, warum die Chamberlainsche „Vision“ ausgerechnet in Deutschland und die Leninsche ausgerechnet in Rußland verwirklicht werden konnte. Antisemitische Ressen­timents, an die Chamberlain appellierte, waren so gut wie in allen europäischen Ländern vorhanden, und in solchen Staaten wie Frankreich und dem Zarenreich traten sie vor 1914 in einer noch schärferen Form als in Deutschland zutage (Dreyfus-Affäre, Judenpogrome). Was die radikal sozialistischen Erlösungs- und Rachephantasien anbelangt, die Lenin inspirierten, stellten sie eben­falls ein allgemeineuropäisches Phänomen dar.

Trotz all dieser Sachverhalte erwiesen sich Deutschland und Rußland als besonders anfällig für totalitäre Versuchungen, wenn auch mit einem jeweils anderen Kennzeichen. Dies hatte vielleicht mit der in den beiden Staaten besonders tief verankerten Sehnsucht nach der Überwindung der inneren Spaltung zu tun – in Deutschland der nationalen, in Rußland der sozialen.

Die Aufbruchsstimmung, die Deutschland zur Zeit der Einigungskriege, vor allem aber während des Deutsch-Französischen Krieges von 1870/71 erlebte, stellte eine Art Revolution dar – anstelle der „gescheiterten“ Revolution von 1848/49, die nicht imstande gewesen war, die nationale Frage zu lösen. Der britische Historiker Lewis B. Namier nannte den Krieg sogar eine Form der deutschen Revolution.[108] Fedor Dostoevskij, der aufmerksam die Entwicklungen in Deutschland beobachtete, befand sich zur Zeit des Ausbruchs des Deutsch-Französischen Krieges in Dresden. In seinem Tagebuch eines Schriftstellers (1876) beschreibt er seine damaligen Eindrücke:

„[Beim] Anblick mancher vorbeimarschierenden Kompagnie konnte man nicht umhin, ihre wunderbare militärische Haltung, die strenge, gleichmäßige Ausrichtung und zugleich die ungewöhnliche Freiheit zu bewundern, wie ich sie noch nie an Soldaten wahrgenommen habe, auch die zielbewußte Entschlossenheit, die sich in jeder Geste, in jedem Schritt dieser tapferen Burschen zeigte. Man sah ihnen an, daß sie nicht von jemand getrieben, sondern von selbst gingen. Nichts Hölzernes, nichts was an die Stockschläge eines Korporals erinnerte, und das bei denselben Deutschen, von denen wir [...] den Korporal und den Stock übernommen haben! Nein, diese Deutschen gingen ohne Stock, wie ein Mann, vollkommen entschlossen und siegesgewiß. Der Krieg war ein Volkskrieg: aus jedem Soldaten strahlte der Bürger, und ich muß gestehen, ich begann für die Franzosen zu fürchten.“[109]

Der Impetus von 1870/71 erlosch aber schnell. Die Nation blieb innerlich gespalten und durch konfessionelle, territoriale und soziale Spannungen erschüttert, bis die Ideen des Sommers 1914 die Nation, die nun „keine Parteien mehr kannte“, ähnlich wie 1870/71 scheinbar zu einem Monolith zusammenschweißte. Die Kriegsbegeisterung des Sommers 1914 stellte natürlich ein gesamteuropäisches Phänomen dar, aber nur in Deutschland wurde sie zu einer neuen Etappe im „nation-building“-Prozeß. Für die Verfechter der „organischen“ Einheit der Nation ging aber dieser Prozeß nicht weit genug. Daß die „im Felde unbesiegte“ Armee diesen Krieg letztendlich verloren hatte, führten viele auf das Zerbröckeln der Heimatfront zurück. Nun nahm der Kampf um die organische Einheit der Nation, um das Ausmerzen aller Fremdkörper, die diesem Prozeß im Wege standen, hysterische Züge an und verlor jeden Bezug zur Realität. Nur in dieser Atmosphäre, die Hermann Rauschning als einen Zustand des Deliriums bezeichnet,[110] konnte das alles vereinfachende „Erlösungskonzept“ Chamberlains, das die Juden als die eigentlichen Verursacher aller Leiden der Deutschen definierte, geschichts­wirksam werden. Die Machtergreifung Hitlers, die untrennbar mit der Ausschaltung der Juden aus dem öffentlichen Leben verbunden war, wurde von vielen Deutschen als eine Art Fortsetzung des 1864–1871 begonnenen und 1914 erneuerten Einigungsprozesses erlebt, als eine Revolution. Dieser Einigungstaumel wird besonders anschaulich in der Hitler-Biographie von Joachim C. Fest beschrieben.[111]

Was Rußland betrifft, so erlebte es eine vergleichbare Euphorie nicht 1914, sondern 1917. Das Kriegserlebnis wurde in Rußland, wenn man von einer dünnen Schicht Gebildeter absieht, nicht mit Heilserwartungen verknüpft, dies tat erst die Revolution von 1917.

Die Verklärung der Revolution hatte in Rußland eine lange Vorge­schichte. Verkörpert wurde diese Verklärung in erster Linie durch die russische Intelligencija – ein Phänomen, das im Westen, wie Theodor Schieder mit Recht betont, keine Entsprechung besaß.[112] Das Denken der Intelligencija trug manichäische Züge. Das Böse versinnbildlichte für sie die zarische Autokratie, das Gute – das einfache russische Volk, und sie ging davon aus, worauf der russische Philosoph Semen Frank hinweist, daß die mechanische Beseitigung des Bösen automatisch zum Triumph des Guten führen werde.[113] Das kompromißlose soziale Engagement der Intelligencija habe dazu geführt, daß sie den tieferen metaphysischen Sinnfragen keine Bedeutung beimaß, weil die Beschäftigung mit ihnen angeblich vom Kampf für die Befreiung des Volkes ablenke, fügt Nikolaj Berdjaev hinzu. Der platte Materialismus und Atheismus habe das einzige geistige Gepäck der Intelligencija dargestellt.[114]

Erst die „idealistische Wende“, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts Teile der russischen Intelligencija erfaßte, führte zu ihrer allmählichen Abwendung von der revolutionären Besessenheit. Dieser Paradigmen­wechsel kam aber zu spät. Denn die chiliastischen Träume der Intelli­gencija, ihr Glaube an die heilende Kraft der Revolution, hatten bereits die einfachen Volksschichten angesteckt, die bis dahin noch den vormodernen, vorpetrinischen Weltbildern verhaftet gewesen waren. Den Staat ver­körperte für sie generationenlang der rechtgläubige Zar. Als Soldaten kämpften sie für den Glauben, den Zaren und das Vaterland. Der russische Historiker Fedotov weist in diesem Zusammenhang darauf hin, daß es kein Zufall war, daß der Begriff Vaterland in dieser Dreiheit an letzter Stelle stand.[115] Die Idee eines modernen Nationalstaates, der unabhängig von religiösen Konnotationen als die Krönung der Schöpfung galt, hatte sich bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts in Rußland nur bei einem Teil der Bildungsschicht durchgesetzt. Die russischen Unterschichten erlebten um die Jahrhundertwende zwar auch einen Modernisierungs­prozeß, der zur Lockerung ihrer Bindung an die Kirche und an den Zaren führte; den Anschluß an die moderne Idee eines Nationalstaates fanden sie aber nicht. Sie befanden sich in einem Schwebezustand zwischen Gestern und Morgen, und dieses weltanschauliche Vakuum wurde in einem immer stärkeren Ausmaß durch die Idee der Revolution gefüllt. Der Glaube an die Revolution stellte nun einen Ersatz für den damals weitgehend ausge­höhlten Glauben an den rechtgläubigen Zaren dar. So gewann die revolutionäre Intelligencija ihren jahrzehntelangen Konkurrenzkampf mit der Autokratie um die „Seele“ des Volkes.

Die Intelligencija habe nun das Volk „aufgeklärt“, dessen traditionelle Vorstellungen seien erschüttert, schreibt 1908 der russische Philosoph Sergej Bulgakov. Dieser „Sieg“ der Intelligencija werde aber für Rußland verhängnisvolle Folgen haben, so Bulgakov.[116]

Dabei muß man hinzufügen, daß sich die modernen Revolutionslehren, mit deren Hilfe die Intelligencija das Volk „aufzuklären“ suchte, mit den traditionellen Gerechtigkeitsidealen der russischen Unterschichten vermischten, die einen ausgesprochen egalitaristischen Charakter trugen. „Von allen Formen der Gerechtigkeit steht die Gleichheit für die Russen an erster Stelle“, sagt Georgij Fedotov.[117]

Nach dem Zusammenbruch der Zarenmonarchie im Jahre 1917 erreichte der egalitaristische Rausch, der die russischen Volksschichten erfaßte, bereits die Dimension einer Elementargewalt und richtete sich gegen das hierarchische Prinzip als solches, das für jedes Staatswesen ein grundlegendes Aufbauprinzip darstellt. Alle politischen Parteien Rußlands versuchten diese Gleichheitseuphorie, die den gesamten zivilisatorischen „Überbau“ des Landes hinwegzufegen drohte, einzudämmen – bis auf die Bolschewiki. Lenin schürte noch diese Sehnsucht nach der Befreiung von allen Hierarchien, nach der Entstehung eines „organischen“, einheitlichen sozialen Körpers und nach der Zerstörung des „bürgerlichen Staates“. Denn er wußte, daß nur auf dessen Trümmern der von ihm erträumte „Parteistaat neuen Typs“ erbaut werden könne. Um dieses Ziel zu erreichen, war er sogar bereit, sich mit den unaufgeklärten Massen zu verbünden. Bertram Wolfe schreibt dazu:

“It was Lenin, irreconcilable enemy of the spontaneous and elemental stikhia, who understood most clearly that in this gray mass, with its fear of punishment for indiscipline, its desire to avoid transfer to the front, its disorderly use of its weapons, its new-found glorification, its unrest, uncertainty, inexperience, and vulnerability to plausible demagogic slogans, was the dynamite to blow up the infirm foundations of the Provisional Government.”[118]

Und Fedor Stepun fügt hinzu: Lenin habe 1917 verstanden, daß ein Führer sich in gewissen Situationen dem Willen der Massen beugen müsse, um zu siegen. Obwohl er ein Mensch von ungewöhnlicher Willenskraft gewesen sei, sei er gehorsam in die von den Massen gewählte Richtung gegangen.[119]

Dieses Bündnis Lenins mit den anarchisierten Massen war allerdings nur vorübergehender Natur. Sofort nach dem Sieg der bolschewistischen Revolution strebte nun die „Partei neuen Typs“ danach, ihre „Verbündeten“ zu entpolitisieren und bloß in ein Rädchen eines totalitären Mechanismus zu verwandeln. Da der Freiheitsrausch des Jahres 1917 noch sehr lange nachwirkte, stießen die Bolschewiki bei ihrem Versuch, die störrische russische Wirklichkeit an die marxistische Utopie anzupassen, auf erhebliche Widerstände. Die Antwort der Partei hieß: Terror, der, mit kurzen Unterbrechungen, bis 1953 (bis zum Tode Stalins) zu einer der wichtigsten Grundlagen des neuen Regimes werden sollte.


[1] Siehe dazu u.a. Boehlich, Walter (Hrsg.): Der Berliner Antisemitismusstreit. Frankfurt/Main 1965; Nipperdey, Thomas: Deutsche Geschichte 1866-1918. Zweiter Band. Machtstaat vor der Demokratie. München 1992, S. 382-408; Pulzer, Peter G.J.: Antisemitismus in Deutschland und Österreich 1867 bis 1914. Gütersloh 1966; Claußen, Detlev: Vom Judenhaß zum Antisemitismus. Materialien einer verleugneten Geschichte. Darmstadt 1987, S. 94-108; Luks, Leonid: Die Sehnsucht nach der „organischen nationalen Einheit“ und die „jüdische Frage“ im publizistischen Werk Fedor Dostoevskijs und Heinrich von Treitschkes, in: Anton, Florian / Luks, Leonid (Hrsg.): Deutschland, Rußland und das Baltikum. Beiträge zu einer Geschichte wechselvoller Beziehungen. Festschrift zum 85. Geburtstag von Peter Krupnikow. Köln 2005, S. 155-186.

[2] Fedotov, Georgij: K smerti ili k slave?, in: Novyj Grad 14, 1939, S. 102.

[3] Graf Gobineau, A.: Versuch über die Ungleichheit der Menschenracen, Band 1–4. Stuttgart 1904, hier Band 1, S. 285.

[4] Ebenda, Band 4, S. 313.

[5] Ebenda, Band 1, S. 283 f.

[6] Ebenda, S. 32, 284.

[7] Ebenda, S. 32.

[8] Ebenda, Band 4, S. 323.

[9] Vgl. dazu u.a. Luks, Leonid: Dekadenzängste und Rußlandfurcht – zwischen Wiener Kongreß und Krimkrieg, in: Tel Aviver Jahrbuch für deutsche Geschichte, XXIV/1995. S. 15–39.

[10] Marx, Karl/Engels, Friedrich, Werke (MEW). Band 1–39. Berlin 1959–1968, hier Band 16, S. 5–16.

[11] Zit. nach Żakowski, Jacek: Pó» wieku pod w»os [Ein halbes Jahrhundert gegen den Strich], in: Magazyn Gazety Wyborczej 24.3.1995, S. 8.

[12] Vgl. dazu u.a. Zmarzlik, Hans Günter: Der Sozialdarwinismus in Deutschland. Ein geschichtliches Problem, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 1963. S. 246–273.

[13] von Treitschke, Heinrich: Unsere Aussichten, in: Ders.: Aufsätze, Reden, Briefe, 4. Band. Schriften und Reden zur Zeitgeschichte II. Meersburg 1929. S. 466–482.

[14] Vgl. dazu u.a. Bein, Alex: Die Judenfrage. Biographie eines Weltproblems. Stuttgart 1980, Band 1, S. 228ff.

[15] Chamberlain, Houston Stewart: Briefe 1882–1924 und Briefwechsel mit Kaiser Wilhelm II., Band 1–2. München 1927, hier Band 1, S. 60, vgl. dazu auch ebenda S. 54.

[16] Ebenda, Band 2, S. 145 f.; In seinen Erinnerungen beklagt sich Chamberlain darüber, daß „in Deutschland [...] der beglaubigte Fachmann allein Geschichte schreiben [darf]“ (Chamberlain, Houston Stewart, Lebenswege meines Denkens. München 1919, S. 144).

[17] Chamberlain, Houston Stewart: Richard Wagner, in: Ders.: Gesamtausgabe seiner Werke in neun Bänden, Band 1. München S. 224.

[18] Wagner, Richard: Das Judentum in der Musik, in: Fischer, Jens Malte: Richard Wagners „Das Judentum in der Musik“. Eine kritische Dokumentation als Beitrag zur Geschichte des Antisemitismus. Frankfurt/Main-Leipzig 2000, S. 173.

[19] Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des neunzehnten Jahrhunderts. Ungekürzte Volksausgabe. München 1932, S. 382-388.

[20] Field, Geoffrey G.: The Evangelist of Race. The Germanic Vision of Houston Stewart Chamberlain. New York: Columbia University Press 1981, S. 152.

[21] Chamberlain, Briefe, Band 2, S. 142.

[22] Zit. nach Kinzig, Wolfram: Harnack, Marcion und das Judentum. Nebst einer kommentierten Edition des Briefwechsels Adolf von Harnacks mit Houston Stewart Chamberlain. Leipzig 2004, S. 212.

[23] Ebenda, S. 231.

[24] Chamberlain, Die Grundlagen, S. 162 f.

[25] Ebenda, S. 165.

[26] Vgl. dazu u.a. Pulzer, Peter G.J.: Die Entstehung des politischen Antisemitismus in Deutschland und Österreich 1867–1918. Gütersloh 1966; Jochmann, Werner: Gesellschaftskrise und Judenfeindschaft in Deutschland 1870–1945. Hamburg 1991; Field, The Evangelist.

[27] Chamberlain, Die Grundlagen, S. 649686.

[28] „[Jeder] Mystiker ist (ob er’s will oder nicht) ein geborener Antisemit“, schreibt er in den Grundlagen (S. 1046).

[29] Ebenda, S. 239245, 859f.

[30] Ebenda, S. 245258.

[31] Chamberlain, Briefe, Band 2, S. 267.

[32] Zit. nach Urbach, Karina/Bucher, Bernd: Prinz Max von Baden und Houston Stewart Chamberlain. Aus dem Briefwechsel 1909–1919, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 2004, S. 121–177, hier S. 149, siehe auch S. 143.

[33] Chamberlain, Die Grundlagen, S. 269.

[34] Ders., Briefe, Band 1, S. 217.

[35] Ders., Die Grundlagen, S. 382.

[36] Ebenda, S. 162.

[37] Mendelewitsch, Doris: Volk und Held. Vordenker des Nationalsozialismus im 19. Jahrhundert. Rheda-Wiedenbruck 1988, S. 46.

[38] Vgl. dazu u.a. Köhler, Joachim: Wagners Hitler. Der Prophet und sein Vollstrecker. München 1997; Sarkisyanz, Manuel: Vision vom Dritten Reich und Dritten Rom. Waren es die Sonderwege Deutschlands und Rußlands, die nach Auschwitz und zum GULAG führten?, in: Luks, Leonid / O’Sullivan, Donal (Hrsg.): Rußland und Deutschland im 19. und 20. Jahrhundert. Zwei „Sonderwege“ im Vergleich. Köln 2001, S. 69–92, hier S. 89 f.

[39] Zit. nach Kinzig, Harnack, S. 213 f.

[40] Zit. nach Köhler, Wagners Hitler, S. 178.

[41] Volkov, Shulamit: Antisemitismus als kultureller Code, in: Dies.: Jüdisches Leben und Antisemitismus im 19. und 20. Jahrhundert. Zehn Essays. München 1990, S. 13–36.

[42] Kinzig, Harnack, S. 233.

[43] Ebenda, S. 263.

[44] Ebenda, S. 266.

[45] Köhler, Wagners Hitler, S. 176, 179.

[46] Siehe u.a. Voegelin, Eric: Wissenschaft, Politik und Gnosis. München 1959.

[47] Field, The Evangelist, S. 456.

[48] Frymann, Daniel (i.e. Claß, Heinrich): Wenn ich der Kaiser wär’ – politische Wahrheiten und Notwendigkeiten. 5. erw. Auflage. Leipzig 1914, S. 74, 76.

[49] Field, The Evangelist, S. 220.

[50] Ebenda, S. 218.

[51] Vgl. dazu u.a. Chamberlain, Briefe, Band 2, S. 152 f.; ders.: Die Grundlagen, S. 383ff.

[52] Chamberlain, Briefe, Band 1, S. 111.

[53] Siehe dazu auch Chamberlain, Lebenswege, S. 65 f., 108 ff., 113–122, 345; Field, The Evangelist, S. 186. In seinen Erinnerungen erwähnt Chamberlain abgesehen von Wiesner gelegentlich auch andere jüdische Bekannte, sogar Freunde, die ihm, wie er sagt, viel bedeuteten (Lebenswege, S. 191–195, 230 f.). Dies hat ihn aber keineswegs daran gehindert, die Bekämpfung der jüdischen Rasse, der sie entstammten, zu propagieren.

[54] Field, The Evangelist, S. 160.

[55] Chamberlain, Briefe, Band 1, S. 250; vgl. dazu auch S. 285, 305, Band 2, S. 138, 169; Urbach / Bucher, Prinz Max von Baden, S. 151. In den Grundlagen hat er sich noch recht positiv über England geäußert: „England ist durch seine Insellage so gut wie abgeschnitten; [...] und so ist die augenblicklich unzweifelhaft stärkste Rasse Europas gezüchtet worden“ (S. 323, s. dazu auch S. 337, 10181022).

[56] Chamberlain, Briefe, Band 2, S. 252.

[57] Ebenda, S. 137 f., 170.

[58] Ebenda, S. 150.

[59] Ebenda.

[60] Ebenda, S. 151.

[61] Chamberlain, Wagner, S. 226.

[62] Ders., Briefe, Band 1, S. 56.

[63] Ebenda, S. 57.

[64] Ebenda, Band 2, S. 152 f. (vom 20.2.1902).

[65] Ebenda, S. 161.

[66] Köhler, Wagners Hitler; Sarkisyanz, Vision, S. 87–90.

[67] Domarus, Max: Hitler. Reden und Proklamationen 1932-1945 – kommentiert von einem Zeitgenossen. Wiesbaden 1973, Band II., S. 2239.

[68] Urbach/Bucher, Prinz Max von Baden, S. 135 f.

[69] Chamberlain, Briefe, Band 2, S. 62.

[70] Ebenda, S. 124 ff.

[71] Köhler, Wagners Hitler; Field, The Evangelist.

[72] Köhler, Wagners Hitler, S. 459.

[73] Ebenda, S. 19.

[74] Ebenda, S. 20.

[75] Ebenda, S. 289 f.

[76] Ebenda, S. 250.

[77] Domarus, Hitler. Reden und Proklamationen, Band 2, S. 1056 ff; Battenberg, Friedrich: Das europäische Zeitalter der Juden. Zur Entwicklung einer Minderheit in der nichtjüdischen Umwelt Europas. Darmstadt 1990, Teilband 2, S. 282.

[78] Adolf Hitler. Monologe im Führerhauptquartier 1941–1944, aufgezeichnet von Heinrich Heim, hrsg. von Werner Jochmann. München 2000, S. 151.

[79] Vgl. dazu u.a. Longerich, Peter: Politik der Vernichtung. Eine Gesamtdarstellung der nationalsozialistischen Judenverfolgung. München 1998, S. 580; Burrin, Philippe: Hitler und die Juden. Die Entscheidung für den Völkermord. Frankfurt/Main 1993, S. 118 f.; Friedländer, S.: Die Jahre der Vernichtung. Das Dritte Reich und die Juden. München 2006, S. 244f.

[80] Adolf Hitler. Monologe, S. 152.

[81] Berdjaev, Nikolaj: Das Neue Mittelalter. Betrachtungen über das Schicksal Rußlands und Europas. Tübingen 1950, S. 122.

[82] Parvus: Der Opportunismus in der Praxis, in: Die Neue Zeit 1900/1901, Band 2, S. 746.

[83] Luxemburg, Rosa: Politische Schriften. Frankfurt/Main 1967, Band 1, S. 124f.

[84] Nettl, J. Peter: Rosa Luxemburg. Köln / Berlin 1969, S. 320-369.

[85] Die Entfremdung zwischen Parvus und der SPD hatte nicht nur ideologische, sondern auch finanzielle Gründe. So wurde er von einer Untersuchungskommission der SPD (1908/09) wegen der Veruntreuung der Tantieme des russischen Schriftstellers Maksim Gor´kij scharf gerügt (Scharlau, Winfried B. / Zeman, Zbynek A.: Freibeuter der Revolution. Parvus-Helphand. Eine politische Biographie. Köln 1964, S.132f.; Heresch, Elisabeth: Geheimakte Parvus. Die gekaufte Revolution. Biographie. München 2000, S. 101).

[86] Geller, Michail / Nekrič, Aleksandr: Utopija u vlasti. Istorija Sovetskogo Sojuza s 1917 goda do našich dnej, Band 1–2. London 1982.

[87] MEW, Band 18, S. 567.

[88] MEW, Band 21, S. 22.

[89] Vgl. dazu Keep, John L.H.: The Russian Revolution. A Study in Mass Mobilization. New York 1976, S. 19; Altrichter, Helmut: Rußland 1917: ein Land auf der Suche nach sich selbst. Paderborn u.a. 1997, S. 275.

[90] Bertram Wolfe hebt hervor, daß Lenin in seinen Schriften besonders häufig den romantischen und „voluntaristischen“ Marx der Revolutionsperiode (1848–1850) und weniger den späteren „deterministischen“ Marx zitiert, der sich vor allem mit den „Gesetzen“ der wirtschaftlichen Entwicklung des kapitalistischen Systems befaßte (Wolfe, B.: Marxism and the Russian Revolution, in: Ders.: An Ideology in Power. Reflections on the Russian Revolution. New York 1969, S. 3–41, hier S. 23). Dieser Sachverhalt ist auch nicht verwunderlich. Denn nach den von Marx „entdeckten“ Gesetzen war der Sieg einer „proletarischen Revolution“ in Rußland, zumindest zu Lebzeiten Lenins, nicht möglich.

[91] Lenin, Vladimir: Werke, Band 1–40. Berlin 1961 ff., hier Band 5, S. 385.

[92] Zit. nach ebenda, S. 395.

[93] Das ideologische Gerüst der Bewegung stand für Lenin von vornherein fest. Nikolaj Valentinov, ein ehemaliger Bolschewik, berichtet über ein Gespräch, das er 1904 mit Lenin führte, in dem dieser scharf gegen diejenigen Bolschewiki polemisierte, die den Marxismus durch neue philosophische Lehren bereichern wollten: Es sei unzulässig, Marx zu korrigieren. Die sozialdemokratische Partei sei kein Seminar, in welchem über verschiedene neue Ideen debattiert werde. Sie sei eine Kampforganisation mit einem bestimmten Programm und einer klaren Hierarchie von Ideen. Der Eintritt in diese Organisation ziehe eine bedingungslose Anerkennung dieser Ideen nach sich. Man dürfe den Marxismus nur in die Richtung weiterentwickeln, die von Marx selbst vorgezeichnet sei (Valentinov, Nikolaj [Vol’skij]: Vstreči s Leninym. New York 1979, S. 252 ff.). Die Ideologie stand also für Lenin nicht zur Disposition. Leidenschaftlich debattierte er aber über Fragen der revolutionären Taktik.

[94] Zur kritischen Einstellung Lenins gegenüber der Intelligencija siehe u.a. Frank, Viktor: Lenin und die Intelligentsia, in: Schapiro, Leonard (Hrsg.): Lenin. Stuttgart 1969, S. 23–33; Gor’kij, Maksim: V.I. Lenin. Moskau 1960.

[95] Lenin, Werke, Band 5, S. 483.

[96] Ebenda, S. 383.

[97] Ebenda, S. 491 f.

[98] Nipperdey, Thomas: Die Organisation der deutschen Parteien vor 1918. Düsseldorf 1961.

[99] Lenin, Werke, Band 5, S. 383.

[100] Ebenda, S. 477 ff.

[101] Vgl. dazu Wolfe, Bertram: Three who made a Revolution (Lenin, Trotsky, Stalin). A biographical history. New York 1948.

[102] Ebenda, S. 13.

[103] Avtorchanov, Abdurachman: Proischoždenie partoktratii. Frankfurt/Main 1973, S. 35.

[104] Wolfe, Bertram: A Party of a New Type. The Foundation Stone of the Communist International, in: Drachkovitch, M.M. / Lazitch, B. (Hrsg.): The Comintern: Historical Highlights. Essays, Recollections, Documents. Stanford/Calif. 1966, S. 2044, hier 42f.

[105] Krylova, Anna: Beyond the „Spontaneity-consciousness Paradigm: „Class Instinct“ as a Promising Category of Historical Analysis, in: Slavic Review 62, 1 (Spring 2003), S. 1–23; siehe dazu auch Zelnik, Reginald E.: A Paradigm Lost? Response to Anna Krylova, ebenda, . S. 24–33; Halfin, Igor: Between Instinct and Mind: The Bolshevik View of the Proletarian Self, ebenda, S. 34–40; Haimson, Leopold: Lenin’s Revolutionary Career Revisited. Some Observations on Recent Discussions, in: Kritika 1/2004, S. 55–80; Lih, Lars T.: How a Founding Document was Found, or One Hundred Years of Lenin’s What Is to Be Done, ebenda 1/2003, S. 5–49; vgl. dazu auch einige frühere Abhandlungen: Haimson, Leopold H.: The Russian Marxists and the Origins of Bolshevism. Cambridge, Mass. 1955; Treadgold, Donald W.: Lenin and His Rivals: The Struggle for Russia’s Future 1898–1906. New York 1955; Meyer, Alfred G.: Leninism. Cambridge, Mass. 1957; Keep, John L.H.: The Rise of Social Democracy in Russia. Oxford 1963; Schapiro, L.: Lenin nach fünfzig Jahren, in: Ders., Lenin, S. 7–22.

[106] Lenin, Werke, Band 31, S. 26.

[107] Krupskaja, N.K.: Erinnerungen an Lenin, Band 1–2. Berlin-Wien 1929–1933; vgl. Da­zu auch Wolfe, Three who made a Revolution; Haimson, The Russian Marxism, S. 218f.

[108] Namier, L.B.: The Course of German History, in: Ders.: Facing East. London 1947, S. 25–40.

[109] Dostoevskij, Fedor: Tagebuch eines Schriftstellers. München 1977, S. 237.

[110] Rauschning, Hermann: The Conservative Revolution. New York 1941, S. 262 f.

[111] Fest, Joachim C.: Hitler. Eine Biographie. Frankfurt/Main 1979, S. 513–570.

[112] Schieder, Theodor: Das Problem der Revolution im 19. Jahrhundert, in: Ders.: Staat und Gesellschaft im Wandel unserer Zeit. Studien zur Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts. München 1970, S. 11–57, hier S. 42 ff.

[113] Frank, Semen: Ėtika nigilizma, in: Vechi. Sbornik statej o russkoj intelligencii. Moskau 1909, S. 175–210.

[114] Berdjaev, Nikolaj: Filosofskaja istina i intelligentskaja pravda, in: Vechi, S. 1–22.

[115] Fedotov, Georgij: Revoljucija idet, in: Sovremennye Zapiski, Nr. 39, 1929, S. 306–359.

[116] Bulgakov, Sergej: Dva grada. Band 1–2. Moskau 1911, hier Band 2, S. 159–163.

[117] Fedotov, Georgij: Narod i vlast’, in: Vestnik RSChD Nr. 94, 1969, S. 79–95, hier S. 89.

[118] Wolfe, Marxism and the Russian Revolution, S. 23.

[119] Stepun, Fedor: Sočinenija. Moskau 2000, S. 342.