Christa Ebert

Kultursemiotik am Scheideweg.

Leistungen und Grenzen des dualistischen Kulturmodells von Lotman / Uspenskij


Meinen Ausführungen sei eine kurze Vorbemerkung vorangestellt, die er-klären soll, weshalb ich mich entschlossen habe, im Rahmen der Tagung „Kulturmodelle und Kulturkonstanten in der russischen Geschichte und Gegenwart“ das Thema der Kultursemiotik in den Blick zu nehmen.

Als Reaktion auf unseren Band „Kulturauffassungen in der literarischen Welt Rußlands“ (1995) veröffentlichte Walter Koschmal eine ausführliche Rezension, die neben der Würdigung des Themas auch einen massiven Kritikpunkt enthielt. Der Verfasser zeigte sich verwundert, daß der Band bei der Beschreibung von Kulturauffassungen ausgerechnet die kultursemioti-sche ausklammere, was erstaunlich sei, „da sich unter den Autoren Forscher befanden, die diese vor Jahren an vorderster Stelle propagiert hatten“. Und weiter merkt der Rezensent kritisch an: „Diese Zurückhaltung wird an kei-ner Stelle des Bandes reflektiert, was durchaus als Mangel zu sehen ist.“ [1] Die sich daran anschließende Frage, ob diese Zurückhaltung bedeute, daß die derzeitigen Umbrüche durch die kultursemiotischen Modelle etwa nicht mehr zu beschreiben seien, ist berechtigt und beschäftigt mich seit längerem. Mein eigenes Vorwort in dem genannten Band habe ich zwar mit einem Zitat aus einem Lotman-Text eingeleitet, [2] der auf den Wende-punkt Bezug nimmt: „Klio na rasput´e“ („Klio am Scheideweg“), allerdings ohne diesen Text in das bisherige semiotische Gebäude Lotmans einzuord-nen, d.h. ohne die Wandlungen zu reflektieren, die die Perestrojka offen-kundig in der Kultursemiotik ausgelöst hatte.

Als ich die freundliche Einladung zu dieser Tagung bekam, beschloß ich, die Gelegenheit zu nutzen, diese Frage aufzugreifen und mich damit auf unsicheres Terrain zu begeben, da es zweifellos noch zu früh ist, ein abschließendes Urteil über diese literaturwissenschaftliche Schule abzugeben. Boris Uspenskij, ihrem neben Jurij Lotman prominentesten Vertreter, ist zuzustimmen, wenn er am Ende eines Aufsatzes, der einen Überblick über die Stationen der Tartuer und Moskauer Semiotiker-Schule gibt, feststellt, daß „die Zeit für eine endgültige Bilanz noch nicht gekommen ist: Wir bewegen uns weiter, der Schlußpunkt ist noch nicht gesetzt.“ [3]

Dennoch ist zweifellos der Höhepunkt jener kulturwissenschaftlichen Methode überschritten, die in den sechziger und Anfang der siebziger Jahre in den Sommerschulen in Tartu und in den „Trudy po znakovym sistemam“ [Arbeiten zu Zeichensystemen] ihre wichtigsten Kommunikationsforen ge-funden hatten. Es ist wohl symbolisch zu nennen, daß in die Zeit der Vorbe-reitung eines Sammelbandes, der anläßlich des siebzigsten Geburtstags Jurij Michajloviè´ Lotmans und des zwanzigjährigen Bestehens der Tartuer und Moskauer Schule eine Zwischenbilanz ihrer Tätigkeit liefern sollte, der Tod ihres Spiritus rector fiel, der somit zum (Mit-)Verfasser seines eigenen Nekrologs wurde. Andere Beiträge, die die Arbeit der Semiotiker-Schule zu re-sümieren versuchen, folgten, und sie werden sich in nächster Zeit zweifellos noch mehren. Das hat wohl in der Tat nicht nur mit der Zäsur zu tun, die Lotmans Tod bedeutet, sondern, wie S. Zenkin unlängst feststellte, mit einer Tendenz in der gegenwärtigen Wissenschaft, nicht mehr, wie einst in der „Sturm und Drang“-Periode der sechziger und siebziger Jahre, revolutionä-re Konzepte entwerfen zu wollen, sondern die früheren Entwürfe auf ihren wissenschaftlichen Bestand hin zu prüfen. [4] Der Beitrag in der Zeitschrift Novoe literaturnoe obozrenie [Neue literarische Rundschau], mit dem eine Artikelserie zu diesem Thema angekündigt wird, heißt bezeichnenderweise: „Boj s ten´ju Lotmana“ [„Der Kampf mit Lotmans Schatten“].

Obwohl N. Bogomolov im vorhergehenden Heft der Zeitschrift der Legende vom Ende der Russistik in den baltischen Staaten entschieden wider-spricht und darauf hinweist, daß die „durch das Werk der Veteranen der Tar-tuer Schule, von denen manche nicht mehr unter den Lebenden weilten, begründete Schule durch das Werk ihrer Schüler [...] fortgesetzt wird“, [5] scheint es doch eher, als sei die spannendste und anregendste kulturwissen-schaftliche Schule an der geographischen wie wissenschaftspolitischen Peripherie des einstigen sowjetischen Imperiums nach einem kurzen Aufblü-hen in der Perestrojka-Zeit zusammen mit ihrem Spiritus rector gleichsam verschieden.

Zweifellos beruhten die Erfolge der Moskauer und Tartuer Schule zu einem großen Teil darauf, daß sie selbst Teil jener Semiosphäre war, die sie zwar nicht explizit zum Untersuchungsgegenstand erkoren hatte, die aber ihr eigentlicher Referenzort war - die sowjetische Kultur. Obgleich sich ihre Mitglieder selbst als exklusiven Zirkel verstanden, der sich nicht in den sowjetischen Wissenschaftsbetrieb integrieren, sondern sich aus ihm zu-rückziehen wollte, was durch die geographische Randlage jenseits der Met-ropolen noch unterstrichen wurde, waren sich die Beteiligten bewußt, daß die Außenperspektive der Wissenschaft eine Illusion ist und auch die von ihr geforderte Metasprache, der Außenstandpunkt zur Beschreibung von empirischen Phänomenen, nicht eine Existenz im luftleeren Raum bedeutet, sondern vom Erfahrungsort des Forschers geprägt bleibt. So heißt es bereits in den „Thesen zur semiotischen Erforschung der Kultur“ (in Anwendung auf slavische Texte) von 1973, die grundsätzliche Positionen der Gruppe zusammenfassen:

„Die wissenschaftliche Untersuchung ist nicht nur Instrument zur Erforschung der Kultur, sondern wird selbst auch zu einem ihrer Bestandteile. Wissenschaftliche Texte, die Metatexte der Kultur sind, können gleichzeitig auch als Texte der Kultur angesehen werden.“ [6]

Meine Überlegungen konzentrieren sich also auf zwei Fragen:

1. Worauf gründete sich der Erfolg der sowjetischen Kultursemiotik und weshalb ist ihre Bedeutung nach dem Ende der Sowjetunion gesunken?

2. Wie hat die Kultursemiotik auf die fundamentalen soziokulturellen Umbrüche ab Mitte der 80er Jahre (in den letzten verbliebenen Lebensjah-ren Lotmans) reagiert?

Es würde den Rahmen dieses Beitrags und der Thematik dieser Tagung überschreiten, würde ich die Geschichte der Semiotik und die Spannbreite ihrer Themenfelder in der Sowjetunion zu rekapitulieren versuchen (hier haben z.B. Karl Eimermacher und Wolfgang Eismann im Westen und Klaus Städtke im Osten Deutschlands in ihren jeweiligen Textausgaben und später auch Peter Grzybek und Michael Fleischer das Wesentliche gesagt), [7] es geht mir hier um die Grundprämisse dieser Schule: die Ausdehnung des Gegenstands semiotischer Forschung vom verbalen Text auf den Text der Kultur („Kultur als sekundäres modellbildendes Zeichensystem“ in der frühen Terminologie der Gruppe) und speziell auf das von Lotman und Uspenskij zugrunde gelegte Kulturmodell in seiner Anwendung auf Rußland.

Zu 1.

Die Bedeutung der Kultursemiotik gründet sich m.E. vor allem auf ihre Subversivität im Rahmen des herrschenden sowjetischen Systems. S. Zenkin bewertet die Bedeutung aus einer anderen Perspektive, wenn er davon spricht, daß „das Drama der Moskauer und Tartuer Schule [...] im Fehlen eines ´legitimen´ Opponenten” bestanden hätte, der sie auf der Grundlage ihrer eigenen Regeln hätte kritisieren können. [8] Mir scheint, daß eben das Fehlen eines normalen Wissenschaftspluralismus das revolutionäre Konzept der sowjetischen Kultursemiotik begründet hat. Auch wenn es das Ideal einer stringenten wissenschaftlichen Methode nicht erfüllte (welche Theorie erfüllt sie schon?) - die Schaffung einer eigenen Zeichentheorie war auch gar nicht beabsichtigt -, wurde die Kultursemiotik zur wichtigsten Provoka-tion im sowjetischen Wissenschaftsdiskurs.

Als in den fünfziger und sechziger Jahren in Moskau die sprach- und literaturwissenschaftliche computergesteuerte Übersetzungstechnik den Im-puls für die Entwicklung der Semiotik gab, die sich mit Beschaffenheit, Strukturen und Funktionsmechanismen von Texten befaßte, war damit ein Affront gegen eine seit den dreißiger Jahren dominierende, sich marxistisch nennende, in Wirklichkeit aber ideengeschichtlich operierende Wissenschaftspraxis eröffnet, die die formalistischen Ansätze einer Literatur- und Kunstbetrachtung abgelöst hatte, in der der Text prioritäres Forschungsobjekt gewesen war. Der offiziell bekämpfte Formalismus schien sich nun auf dem Umweg über die EDV-Wissenschaft erneut zu etablieren, was beson-ders in dem Moment mit Mißtrauen betrachtet wurde, als der Anwendungs-bereich von der reinen Linguistik auf die ideologiebezogenen Texte aus Li-teratur und Kunst und schließlich auf die Kultur als Ganzes („Semiosphäre“ - Lotmans Begriff der achtziger Jahre) ausgedehnt wurde.

Formalismus, Strukturalismus, Semiotik waren in den sechziger und siebziger Jahren im innersozialistischen Raum Reizworte; die mit ihnen verbundenen Wissenschaftsansätze (es geht um methodische Ansätze, nicht um Themen) galten als hochgradig subversiv, so daß sich bei uns in (Ost-)Berlin das Institut für Gesellschaftswissenschaften beim ZK der SED mit der Frage befaßte, ob die Beschäftigung damit politisch verträglich oder schädlich sei und davon die Entscheidung abhängig gemacht wurde, ob der von Klaus Städtke initiierte Band mit Lotman-Aufsätzen „Kunst als Spra-che“ erscheinen dürfe oder nicht.

Woher rührte diese Angst vor Strukturalismus und Semiotik im realsozia-listischen Wissenschaftsbetrieb? Zweifellos war es in den siebziger und achtziger Jahren nicht mehr allein der Formalismus-Vorwurf, d.h. die Konzentration auf Formfragen bei angeblicher Vernachlässigung des Inhalts, vielmehr hat der Strukturalismus (der ja im übrigen der Marx´schen Kapita-lismusanalyse zugrunde liegt) die fatale Tendenz, sich nicht bei den Seman-tiken der symbolischen Ordnung aufzuhalten (in Saussures Terminologie, auf die Lotman rekurriert: parole), die das Fundament des Funktionierens des ideologischen Gebäudes bildet, sondern beleuchtet auch die Grammatik (langue), die dem Sprachgebrauch zugrunde liegt. Und die Grammatik legt das Regelwerk bloß, nach dem ein Text funktioniert, auch der Text der Kul-tur (im Lotmanschen Sinne).

Kultur wird von Uspenskij und Lotman als das nichtvererbbare Gedächtnis eines Kollektivs verstanden, „das in einem bestimmten System von Verboten und Vorschriften seinen Ausdruck findet.“ [9] Nicht die Aussage, sondern das sie steuernde Regelwerk ist der Untersuchungsgegenstand, also das, was die Politiker und Ideologen durch euphemistische Rhetorik gerade zu verschleiern suchten.

Nun haben die sowjetischen Kultursemiotiker sich wohlweislich davor gehütet, bis auf einige Ausnahmen, ihre Gegenwart zum Forschungsgegenstand zu erheben, im Gegenteil, sie haben sich weit in die Geschichte zu-rückgewandt. Das hat aber die Lage nicht verbessert, denn sie selbst lieferten ja den Kode für ihren Umgang mit der Vergangenheit, als sie davon sprachen, daß die Vergangenheit nicht ins Vergangene fortgeht, sondern im Gedächtnis der Kultur fixiert bleibt. Gedächtnis wird aber nicht nur als ein Fundus von Texten verstanden, sondern auch als ein Erzeugungsmechanis-mus: „Die durch ihr Gedächtnis mit der Vergangenheit verbundene Kultur erzeugt nicht nur ihre Zukunft, sondern auch ihre Vergangenheit.“ [10] Mit anderen Worten, Lotman und Uspenskij konzedieren, daß das Bild der Vergangenheit, das sie entwerfen, von ihrer Gegenwart geprägt ist. Der gewählte Fokus - Ewald Lang spricht davon, daß Lotman Begriffsreihen wie Netze auswirft und der eingeholte Fang die thematischen Gegenstände ergibt [11] - verrät den aktuellen Standort des Forschers und sein eigentliches Erkenntnisinteresse, nämlich durch die Rückschau auf die kulturelle Vergangenheit Rußlands die Gegenwart zu erhellen. [12]

Das ist vor allem am Beispiel jenes Aufsatzes festzustellen, in dem Lotman und Uspenskij ihr wohl prominentestes Modell für die russische Kultur entwerfen: „Die Rolle dualistischer Modelle in der Dynamik der russischen Kultur“.

Dieses Modell beschreibt die russische Kultur als von einer prinzipiellen Bipolarität geprägt, deren Dynamik auf der axiologischen Ebene allein im Wechsel der Vorzeichen besteht, d.h. das jeweils behauptete Neue sich im-mer nur als eine Umkehrung des jeweils vorherigen Alten realisiert und keine wirkliche Evolution bedeutet. Als Grund wird der prinzipielle Dualismus des mittelalterlichen Weltbildes angesehen, der die jenseitige Welt in zwei Sphären, in Himmel oder Hölle teilte, und dementsprechend auch auf der Erde nur sündiges oder heiliges Verhalten zuließ. Es fehlte eine neutrale Sphäre - im westlichen Mittelalter durch das Fegefeuer symbolisiert -, die der Ort war, in dem „eine gewisse Kontinuität zwischen dem abzulehnen-den Heute und dem zu erwartenden Morgen entstand“. [13] Das Fehlen dieser neutralen Sphäre habe dazu geführt, daß sich in Rußland keine evolu-tionäre Entwicklung ausbilden konnte, sondern die Veränderung „sich als radikale Loslösung von der vorangegangenen Etappe“ vollzog: „Das natür-liche Ergebnis dieses Vorgangs war, daß das Neue nicht aus der strukturell ´ungenutzten´ Reserve entstand, sondern sich als Produkt der Transformation des Alten erwies, einer Wendung seines Innersten nach außen sozusagen. Die wiederholten Wandlungen konnten daher praktisch zur Regenerierung archaischer Formen führen.” [14]

Die scheinbare radikale Neuformulierung auf der Ebene der parole erwies sich damit als Reformulierung der vordem verfemten Wahrheiten, während das Sprachsystem der Kultur, die langue, unverändert blieb.

Obwohl sich das Modell explizit auf den Zeitraum vom Mittelalter bis zum 18. Jahrhundert bezieht, enthält es ein vernichtendes Urteil auch für die Gegenwart. Die Parallelen des sowjetischen Umbruchs mit dem für das Pet-rinische Zeitalter festgestellten Umbruch liegen auf der Hand. Die subversive Botschaft des Textes reicht über den beschriebenen Zeitraum hinaus und lautet: Das russische Kulturbewußtsein hat seit dem Mittelalter keine wesentlichen strukturellen Veränderungen und vor allem keine wesentliche Erneuerung erfahren: Wenn in dem Aufsatz mitgeteilt wird, daß sich das Neue des 18. Jahrhunderts durch Bilder präsentiert, die die schnelle und wunderbare und vollständige Verwandlung Rußlands unter der Herrschaft Peters I. verkünden, [15] daß der Mythos vom neuen Rußland und den neuen Menschen sich durch die Umkehrung der alten Mythen vollzog, daß die neue Kultur ihren blasphemischen, antikirchlichen Charakter demonst-rierte, sich aber dabei konstanter kirchlich mittelalterlicher Typen bediente, so wird der neue sowjetische Kulturtyp eben auch nur als eine neue Variante des altbekannten Modells erkennbar. Die verkündeten Erneuerungen erweisen sich als Wandlungen auf der Ebene der Symboliken und Formen; [16] sowohl in den Organisationsstrukturen als auch im Denken bleiben sie im Rahmen des sich hin und her schaukelnden Dualismus befangen. Es be-deutet, daß auch die gewaltigen sozialen und politischen Umwälzungen, die die Oktoberrevolution ausgelöst hat, keine nennenswerte Veränderung die-ses dualistischen Denkens hervorgebracht hat.

Die Kultursemiotik war aus mehreren Gründen besonders geeignet, die russischen Verhältnisse, d.h. die Kontinuität der Verfaßtheit der russischen Kultur vom Mittelalter bis zur Gegenwart aufzudecken: Das dem Struktura-lismus eigene Operieren in binären Oppositionen kommt der dualistischen Organisation geschlossener Systeme entgegen. Die über lange Perioden der Geschichte währende geopolitische und ideelle Abgrenzung, die Rußland als einen eigenen Raum definierte, bot eine ideale Semiosphäre für kultur-semiotische Modellspiele, da sie deren Bedingungen auf nahezu ideale Wei-se erfüllte. Auch wenn Lotman, besonders in seinem späteren Schaffen, ausdrücklicher als der dem dualistischen Denken stärker zugeneigte Uspenskij die Grenzen der Semiosphäre als fließend beschreibt, und die dort versammelten Sprachen ebenso wie die Bewegungen von außen nach innen und umgekehrt als vielfältig, [17] bleibt das Operieren mit Opposi-tionen und Vergleichen (sopostavlenija und protivopostavlenija) weiterhin das grundlegende Verfahren, das geeignet ist, die These von der dualisti-schen (d.h. binären) Struktur der russische Kultur zu erhärten. [18] Darin liegt aber auch die für autoritäre Systeme gefährliche Sprengkraft dieser Methode begründet, da sie den Anspruch hegemonialer Diskurse auf allei-nige Repräsentanz in Frage stellt.

Das im obengenannten Aufsatz von Lotman und Uspenskij vorgestellte Modell der russischen Kultur baut sich durch Oppositionen auf: Altes - Neues, Christentum - Heidentum, Rußland - Europa, Kultur - Staat, resp. Dichter - Zar, deren Relationen allerdings unterschiedlich interpretiert werden: Während Heidentum und Christentum, Rußland und Europa durch die Klammer des Doppelglaubens verbunden sind und zwei Seiten einer Medaille präsentieren (sopostavlenie), wird das Verhältnis von Staat und Kultur, Dichter und Zar stärker als Oppositionsrelation (protivopostavlenie) aufgebaut: Das Musterbeispiel für letztere ist Puškin, der die eigentliche, die geistige Macht der Kultur gegen die politische Macht des Zaren vertritt. Diese Konstellation scheint sich mit der offiziellen sowjetischen zu decken, aber nur dann, wenn man auf der Ebene der Semantik verbleibt und Puškin nur als Puškin liest und Nikolaj als Nikolaj, und nicht als Chiffren in einem Kode, der es zuläßt, die Namen auszutauschen: z.B. durch Mandel´štam, Achmatova auf der einen und Stalin auf der anderen Seite.

Die Subversivität der Kultursemiotik für streng geregelte, hochgradig semiotische Ordnungen, wie sie autoritäre Systeme darstellen, ist, wie ich bereits ausgeführt habe, prinzipieller Natur, sie liegt in der Methode be-gründet, sie war aber zugleich von ihren Erfindern offenkundig intendiert. Es war sicherlich kein Zufall, daß sich die dissidentische Kunst der sechziger Jahre, der Moskauer Konzeptualismus, im engen Bezug auf die Kultur-semiotik entwickelte. [19]

Das heißt aber auch, daß sich die Kultursemiotik zwar aus der sie umgebenden Semiosphäre ausschließen möchte, aber dennoch in ihr ihren Ort hat. Obwohl sie eine strikte Trennung zwischen Objekt- und Metasprache für das methodische Operieren fordert und auch praktiziert, stellt sie keine objektive Wissenschaftsmethode dar, sondern gewinnt ihre Gegenstände und ihren Fokus aus ihrer Stellung innerhalb der Semiosphäre „Sowjetische Kultur“, als Ausdruck einer das Monopol der ideologischen Kultur unterminierenden Gegenkultur. Sie ist in diesem Sinne durchaus als ”teilneh-mende Semiotik” zu betrachten.

Zu 2.

Obwohl die Perestrojka der Semiotik noch einmal eine Blütezeit bescherte, indem sie sie aus ihrer Marginalität innerhalb der sowjetischen Kultur ins Zentrum beförderte - Lotman avancierte zum Medienstar und hielt im Fern-sehen Vorlesungen über die russische Adelskultur -, hatte sie zu dieser Zeit schon ihren Zenit überschritten und war ans Ende ihrer eigentlichen Pro-duktivität gekommen. Gründe dafür gab es mehrere: Die Teilnehmer, die den Kern der Gruppe bildeten, hatten sich inzwischen in alle Welt verstreut, sie waren emigriert oder in ihre angestammten Wissenschaftsfelder zurück-gekehrt, so daß sie in dem Jurij-Lotman-Gedenkband von 1994 in der Mehrzahl von einer vergangenen Phase ihrer Entwicklung sprachen, die sie allerdings für ihre weitere Tätigkeit grundlegend geprägt hätte. Doch auch die wissenschaftlichen Voraussetzungen, die der Kultursemiotik ihre Pro-duktivität gesichert hatten, hatten sich geändert. Boris Gasparov, einer ihrer führenden Köpfe, nannte ihren Ansatz im Rückblick utopisch, da sie nichts weniger anstrebte, als die „absolute Synthese, in der alle und jegliche Erscheinungen in eine gesetzmäßige Korrelation zueinander treten würden.“ Weitere Kennzeichen seien „totales Denken, Dominanz des allgemeinen Ziels über die einzelnen ´empirischen´ Interessen“ gewesen. Die utopische Synthese habe Züge einer Offenbarung getragen, denn „die Ausrichtung auf das Ideal verwandelt augenblicklich und radikal die empirische Welt aus einem Chaos in einen geordneten Kosmos. Dieser Effekt vermittelt den Eindruck von Macht über die empirische Welt: Wir beherrschen das Materi-al, und das Material beherrscht nicht uns [...] Schließlich führt die Totalität des utopischen Denkens zum Verschwinden der Grenzen zwischen künstle-rischem oder wissenschaftlichem Schaffen und dem ´Leben´. [20] Was die Gruppe dennoch von anderen ähnlichen utopischen Bewegungen, wie es sie seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts gegeben habe, vom Symbolismus bis zum OPOJAZ, unterscheide, sei die radikale Abkopplung vom umgebenden „Kontext“, was die Vorläufergruppen bei aller Exotik nicht angestrebt hät-ten, die, im Gegenteil, den Kontakt mit den zeitgenössischen künstlerischen und sozialen Phänomenen gesucht hätten. Interdisziplinarität und Orientie-rung am Westen gehörten zu den Momenten, die die Utopie der Semiotiker-Gruppe genährt hätten. Gasparov hebt hervor, daß die Kultursemiotik zwar als Emanzipationsbewegung im Zuge der nachstalinistischen Aufbruchs-stimmung entstanden war, sie sich aber nach dem Ende des Tauwetters ei-nen geschützten Raum, ein wissenschaftliches Asyl schuf und nicht mehr eine Befreiungsbewegung in einer erneuerten und umgestalteten Welt sein konnte und wollte. [21] Als das ideologische Klima sich abkühlte, wurde es zunehmend schwieriger, die Sommerschulen, die zwischen 1962 und 1973 acht Mal in Tartu und dem nahegelegenen Kjaeriku stattfanden, durchzuführen, und auch die „Trudy po znakovym sistemam“ erfuhren drastische Kürzungen im Umfang. Doch zu den äußeren Hindernissen ka-men innere Veränderungen. Die kultursemiotischen Forschungen evolutier-ten, im Ganzen wie auch bei einzelnen Wissenschaftlern; die Periode der „Aneignung der Welt“ („osvoenie mira“) in den Kategorien der semioti-schen Sprache war beendet. Das habe zum Zerfall der Interdisziplinarität geführt und zur Rückkehr zu den Traditionen der jeweiligen Herkunftsdis-ziplinen. Die Gruppe habe ihren Sinn verloren, da das Empfinden für ihre Ganzheitlichkeit und für die Abgeschiedenheit von der äußeren Welt ab-handen gekommen sei. [22]

Zweifellos bedeutete die Auflösung der Gruppe jedoch noch nicht das Ende der Subversivität der Methode. Die Arbeiten von Lotman und Uspenskij der siebziger und achtziger Jahre boten noch genügend Spreng-stoff, um ihren Status als Außenseiter im offiziellen sowjetischen Wissen-schaftsdiskurs zu bewahren.

Eine fundamentale Veränderung führte hier erst die Perestrojka herbei. Die Aufmerksamkeit, die Lotman in den Medien erhielt, sein aufkläreri-sches Engagement, durch Vorträge im Fernsehen und Ausarbeitung von Lehrmaterialien über die russische klassische Literatur, insbesondere die Adelskultur, schienen die von Gasparov erwähnte utopische Dimension in anderer Weise, als es die Praxis der Tartuer und Moskauer Schule vorsah, mit neuem Leben zu erfüllen.

In seinen Besedy o russkoj kul´ture [Gespräche über die russische Kul-tur], die die Fernsehlektionen über die Adelswelt des 18. und 19. Jahrhun-derts zusammenfassen, gibt Lotman im Vorwort sein Anliegen zu erkennen: Wissen vermitteln über die Symbolik jener Kultur. Betont wird das Ge-dächtnis, die Kontinuität und Tradition, zugleich die diachronische Bezie-hung der Kultur zur Geschichte. Lotman stellt sich die Aufgabe, die „Ge-schichte im Spiegel des Alltag zu sehen“ („videt´ istoriju v zerkale byta)“. [23] Auch nennt er das Motiv, das ihn bewegt habe, sich gerade in jener Zeit der Perestrojka der Geschichte zuzuwenden: Revolutionszeiten seien antihistorisch, in Reformzeiten überwiege das Interesse, Kenntnis über die eigene Herkunft zu erlangen, sie würden das kulturelle Gedächtnis aktivie-ren. [24] Spürbar ist Lotmans Bestreben, dem Trend der Perestrojka-Ära folgend, die blinden Flecke der Geschichte tilgen zu wollen, zu denen die Adelskultur in der sowjetischen Epoche insofern gehörte, als sie dem ideo-logischen Raster entsprechend einseitig als konservativ und reaktionär dar-gestellt worden war. Lotman will hier aufklären im besten Sinne des Wor-tes, aber die Phase der Subversivität ist vorbei.

Doch das Ende der Kultursemiotik ist nicht nur dadurch bedingt, daß sich ihre Subversivität mit der Glasnost´ erledigt hatte, sondern es hat mit dem Charakter des Umbruchs zu tun, der das Ende jenes Kulturtyps einlei-tete, in dem die Kultursemiotik ihren Ort, ihre Funktion und nicht zuletzt auch ihre Methode gewonnen hatte – der sowjetischen Kultur.

Die soziokulturellen Umbrüche erwiesen sich diesmal nicht nur als ein bloßer Formenwandel, nicht nur als ein semantischer Schub der Re-Formulierung bei struktureller Stabilität. Das dualistische Modell ließ sich nicht aufrechterhalten, das binäre Beschreibungsmuster griff nicht mehr: Die Werte Altes und Neues tauschten nicht mehr die Plätze, sondern ver-mischten sich, eine grandiose Interferenz setzte ein, eine Akkumulation von kulturellen Symbolen und Semantiken, für die sich keine feste Werteskala mehr ausmachen ließ. Nunmehr war es die literarische Postmoderne, die Beschreibungen für die Eskalation und Devaluierung der Zeichen gab, vor denen die Kultursemiotik kapitulieren mußte: Die binären Oppositionen (sopostavlenija und protivopostavlenija) sind so stark aufzufächern und zu verzweigen, daß sie kein überschaubares Design mehr liefern können. Lot-man, der metaphorische Begriffe liebte, hat diesen Prozeß in seinen letzten Lebensjahren aufmerksam registriert und als „Explosion“ „Vzryv“ bezeich-net. Sein letztes Buch heißt bekanntlich „Kul’tura i vzryv“ (”Kultur und Explosion”), und es verzeichnet eine deutliche Änderung der Dominante. Nicht mehr die konstant bleibenden, nur hinsichtlich der Axiologik verän-derbaren Kulturzeichen stehen im Zentrum, sondern die Dynamik, der Pro-zeß der Veränderung selbst, das Moment der „Unvorhersagbarkeit“ („nepredskazuemost’“) in Kultur und Geschichte und die Offenheit des kul-turellen Systems. [25] Das beinhaltet keine vollständige Abkehr von dem früheren Modell, nur eine Akzentverschiebung, die aber bedeutungsvoll ist: Bereits in dem Aufsatz über die dualistischen Modelle war der für die (alt)russische Kultur charakteristische Wechsel von Altem zu Neuem nicht als stetiger evolutionärer Prozeß beschrieben worden, wo das Neue nicht als Fortsetzung des Alten, sondern immer gleich als „eschatologische Ablösung des Ganzen“ erschien. [26] Diesen Gedanken greift Lotman in „Kul´tura i vzryv“ wieder auf, wenn er schreibt, daß in binären Systemen, wie Rußland die „Explosion“ die gesamte Sphäre des Lebensalltags (byt) erfassen, in die Luft sprengen würde, daß es nicht, wie in ternären Systemen, den Wanderungsprozeß von Werten von der Peripherie ins Zentrum und zurück gä-be; daß es all das nicht gäbe, was die Dynamik einer Kultur ausmache und ihre Evolution ermögliche, ohne daß es immer gleich zum totalen Zusam-menbruch des Ganzen kommen müsse. [27] Nun aber, angesichts der Pe-restrojka, formuliert er ein Urteil über diesen Kulturtyp, das er sich in der früheren Arbeit versagt hat:

„Der Preis, der für die Utopie [die Utopie von der plötzlichen wunderba-ren Erneuerung - C. E.] zu zahlen ist, erweist sich erst in der nachfolgenden Etappe.“ [28]

Das habe zu tun mit der apokalyptischen Sicht, die die Erneuerung nicht als Ereignis im Rahmen der geschichtlichen Chronologie sieht, sondern als einmaliges, überzeitliches, endgültiges Ereignis, womit notwendige evolu-tionäre Folgeentwicklungen blockiert würden: „Abgeschafft wird nicht ir-gendeine konkrete Schicht der geschichtlichen Entwicklung, sondern die Existenz der Geschichte selbst.“ [29]

Für die Gegenwart der Perestrojka, von deren Geist der Text „Kultur und Explosion“ unverkennbar inspiriert ist, glaubt der Autor nun auch in Ruß-land einen Wechsel vom binären zum ternären System erkennen zu können. Und er stellt fest, daß der Übergang noch immer in den gewohnten binären Begriffen reflektiert würde, wo es doch nun nötig sei, diese Denkweise zu überwinden, um den explosiven Vorgängen im realen Leben gerecht zu werden:

„Der Übergang von einem an Explosionen orientierten Denken zu einem evolutionären Bewußtsein erlangt jetzt besondere Bedeutung, da die gesam-te und vorangegangene, uns vertraute Kultur zu Polarität und Maximalis-mus tendierte.“ [30]

Doch war bereits die Akzentuierung der Explosion in Lotmans Denken ein Effekt, den die Perestrojka ausgelöst hatte. Am Anfang schien sich alles zu wiederholen: Wieder sollte alles plötzlich ganz anders und neu werden, aber der weitere Verlauf der Ereignisse entwickelte sich auf unvorhergese-hene und unüberschaubare Weise, so daß es dem die atmosphärischen Schwingungen des Zeitgeistes aufmerksam registrierenden Autor angemes-sener schien, sich nicht auf die Struktur der Semiose, die sich nun äußerst komplex gestaltete, [31] zu konzentrieren, sondern auf den Moment und Akt ihrer Aufsprengung. [32] Alle späten Texte von Lotman folgen diesem Raster.

Die Verlagerung des Interesses von der Struktur auf die Bewegung, von der Statik auf die Dynamik verändert auch die Sicht auf die Akteure der Kultur. Das Moment der Individualität, der Persönlichkeit, das für Lotman seit den achtziger Jahren eine große Rolle spielte, wird in „Kul’tura i vzryv“ stärker und vor allem anders profiliert. Die Schlüsselbegriffe der Lotman-schen Texte ändern sich: Statt der technisch semiotischen Sprache, die von Strukturen und Systemen handelt, ist eine Hinwendung zu vitalistischen Begriffen und biologistischen Metaphern zu verzeichnen. Die Rede ist jetzt vor allem vom „Menschen“, vom „Leben“, von „Lebewesen“. Die Kultur-semiotik wird prononcierter als Teil der „Wissenschaft vom Menschen“ betrachtet, [33] und selbst Boris Uspenskij, der kongeniale Weggefährte, dessen Arbeiten aus den neunziger Jahren noch eine stärkere Verhaftung im dualistischen Modell des Denkens erkennen lassen als die Lotmans, be-zeichnet Kultur nun als „System von Beziehungen, die zwischen dem Men-schen und der Welt hergestellt werden“ („sistema otnošenij, ustanavlivae-mych meždu čelovekom i mirom“). [34]

In den frühen achtziger Jahren veröffentlichte Lotman seine Biographien Puškins und Karamzins, in denen die Stellung der Persönlichkeit in der Ge-schichte thematisiert wird. Die Puškin-Biographie Lotmans beginnt mit den Worten:

„In kaum einer Epoche ist das persönliche Schicksal von Menschen so eng mit den historischen Ereignissen - dem Schicksal von Staaten und Völ-kern - verbunden gewesen wie zur Zeit Puschkins.“ [35]

Beschrieben wird dann die nachnapoleonische Ära und die Reaktion un-ter Nikolaus I. und die sich bildenden Gegenkräfte: „In der Gesellschaft aber reiften neue Kräfte heran. Die gesamte Energie des nationalen Lebens war zu jener Zeit in der Literatur konzentriert. Dies war die Epoche, in der Puschkin lebte.“ [36]

Puskin wird in diesem dualistischen Paradigma der Seite der gesunden Gegenkräfte zugeschlagen. Die Puškin-Biographie folgt der Konzeption des „Lebensbauens“ („žiznestroitel’stvo“), wo der Dichter als Gestalter und Meister seines Lebens in allen Phasen vorgeführt wird. Die Opposition Dichter und Macht erfährt am Beispiel Puškins ihre ideale Inkarnation. Ge-gen diese idealtypische (Re-)Konstruktion des Dichterlebens polemisiert der langjährige Weggefährte Lotmans und Mitglied der Tartuer Gruppe B. Egorov. In der Einleitung zu dem 1995 erschienenen Band „Puškin“, der eine postume Sammlung der Lotmanschen Puškin-Arbeiten enthält, gibt Egorov zu bedenken, daß das Leben jedes Menschen, auch des Genies, sich aus einer solchen Häufung von Zufällen zusammensetzt, daß da durchaus nicht immer Raum bleibt für ein konsequentes „Gestalten“ des Lebens („tvorèestvo“ žizni). Gegen Lotman wendet er ein, daß Puškin gerade die Herausforderung des Schicksals, das Kräftemessen provoziert habe und keineswegs immer als Sieger aus diesem Kampf hervorgegangen sei. [37] Das Argument allerdings, dessen sich Egorov bedient, stammt von Lotman selbst, aber nicht dem Autor der Puškin-Biographie, sondern dem Autor von „Kul’tura i vzryv“, wie noch zu sehen sein wird.

In der Karamzin-Biographie wird das Erschaffen des eigenen Lebens („sotvorenie“) stärker mit dem Allgemeinmenschlichen und der Moral verbunden: Denn wenn mit Puškin das ideale Verhaltensmuster des „Dichters“ in einer ihm feindlich gesonnenen Gesellschaft vorgeführt wird, ist es im Falle Karamzins das Muster des moralisch integren Menschen, der sich nicht nach Posten im ruhmseligen „Uniform“-Jahrhundert („mundirnyj“ vek) der nachnapoelonischen Ära drängt, sondern ohne Aufhebens der Sache der Literatur dient und sich damit als der eigentliche Patriot seines Vaterlandes erweist: „...um die Würde des Menschen so hoch zu halten, mußte man sich, einen Ausspruch Èaadaevs aufgreifend, ´selbst erschaffen´ - selbst erschaffen, und zwar nicht nur als ein guter Schriftsteller, sondern als Mensch in der höchsten Bedeutung des Wortes.“ [38]

Dieses würdevolle Verhalten gibt ihm, dem unauffälligen Menschen, so Lotman, im Vorwort zur Karamzin-Biographie, das Recht auf eine Biographie.[39] Damit rehabilitiert Lotman nicht nur den in der offiziellen sow-jetischen Lesart der reaktionären Ideologie verdächtigten Historiographen, sondern liefert ein weiteres Musterbeispiel für mögliches moralisches Ver-halten in einer von Unmoral und Korruption beherrschten Welt, das nichts an Aktualität eingebüßt hat.

In den Aufsätzen des Bandes „Kul’tura i vzryv“ geht es jedoch nicht mehr um solche Oppositionskonstellationen und Persönlichkeitstypologien, sondern um das Individuum in seiner Unverwechselbarkeit und Unikalität. Die menschliche Individualität wird als Wert hervorgehoben:

„Der Mensch wurde zum Menschen, als er sich selbst als Mensch erkannte. Und das geschah, als er bemerkte, daß die verschiedenen Personen der menschlichen Herde unterschiedliche Stimmen und Empfindungen haben. Das individuelle Ge-sicht wie auch die individuelle geschlechtliche Prägung, sind wahrscheinlich die erste Errungenschaft des Menschen als Mensch“. [40]

Zwar waren auch Puškin und Karamzin Individualitäten, die ihre Biogra-phie durch bewußtes Verhalten auch gegen die Normen gestalteten, die eine Wahl trafen und sich damit einen gewissen individuellen Spielraum des Verhaltens sicherten, doch interessierte Lotman hier nicht das Unwägbare, das Unvorhersagbare ihres Verhaltens, sondern gerade die Modellierung eines vorbildhaften Typus. Egorov wirft Lotman vor, er habe Puškins Spiel mit dem Schicksal unterschätzt, Puškin habe gerade das Ungewisse, das offene Ende des Kampfes gereizt, während er bei Lotman immer der Meis-ter des Schicksals bleibt - noch in seinem Tod.

In seinen späten Aufsätzen betont Lotman nun eben diese Spontaneität und Unwägbarkeit im Verhalten des Menschen. Den alternativen Möglich-keiten des Verhaltens, auch den nicht realisierten, wird nun breiterer Raum zugemessen. Der Aufsatz „Das Phänomen der Kunst“ („Fenomen iskusstva“) rückt die Kunst als Reich der Freiheit, in dem das Durchspielen von Alternativen möglich ist, die in der Wirklichkeit nicht realisiert werden können, ins Zentrum:

„Das wahre Wesen des Menschen kann sich nicht in der Realität offenba-ren. Die Kunst führt den Menschen in das Reich der Freiheit und legt damit die Möglichkeiten [Hervorhebung von mir – C. E.] seines Verhaltens of-fen“. [41]

Das gestattet Lotman einerseits, das dualistische Modell aufrecht zu er-halten, das auf der Opposition Kunst versus Wirklichkeit basiert, es ermög-licht andererseits, sich aus der Fessel dieses Dualismus zu befreien, indem man sich ganz auf die eine Seite, die der Kunst konzentriert, die ihre eige-nen Gesetze hat und die Freiräume bietet für Verhaltensvarianten, welche die reale Lebenssphäre nicht zuläßt.

„Das bedeutet, daß jedes Kunstwerk eine Norm aufstellt, sie zugleich verletzt und - zumindest im Bereich der Phantasie - eine neue Norm schafft.“ [42] Die Kunst werde damit zu dem Bereich, in dem sich auch in der russischen Kultur das ternäre Modell, das der Wirklichkeit versagt blieb, realisiert habe.

In der rigorosen Gegenüberstellung von Kunst und Leben allerdings restauriert Lotman das Kulturmodell der Romantik. Das ist möglicherweise auch eine Kapitulation oder Flucht vor der unübersehbaren Entsemiotisie-rung, bzw. der Zunahme der Interferenzerscheinungen der Kultur in der Umbruchszeit der nachsowjetischen Ära, in der die Grundlage für das Funktionieren des Semiosphäre-Modells - nämlich das Vorhandensein markierter Grenzen [43] - verschwindet.

Zur Wiederbesinnung auf den literarischen Text als Forschungsgegens-tand der neueren Semiotik gesellt sich beim späten Lotman die Rückkehr zur Geschichte. In seinem Aufsatz „Zimnie zametki o letnich školach“ [„Winterliche Bemerkungen über Sommerschulen“], der eine Replik auf den oben erwähnten Aufsatz von B. Gasparov zur Retrospektive der Tartuer und Moskauer Semiotiker-Gruppe darstellt, bekennt er sich dazu, das Inte-resse an der Geschichte nie verloren zu haben:

„... die semiotische Bewegung begann mit der Ablehnung der historischen For-schung. Die Abkehr von der historischen Forschung war aber unabdingbar, um zu ihr zurückkehren zu können [...] In der Hinwendung zur Synchronie erlangte der Historiker Freiheit. Er befreite sich von dem in der historischen Methodologie angesammelten Müll [...] Hier liegt auch der prinzipielle Unterschied zwischen unserer und der westlichen Semiotik, die sich bei abstrakten Modellen aufhielt. Für uns bedeuteten die abstrakten Modelle eine unverzichtbare Disziplinierung des Geistes, die uns ein neues Handwerkzeug für das traditionelle Material liefer-te.“ [44]

Damit wird der instrumentelle Charakter der russischen Kultursemiotik von ihrem Begründer noch einmal bekräftigt.

In der Rückkehr zur Geschichte werden die Akzente neu gesetzt. Nicht das Interesse an den Gesetzmäßigkeiten der Geschichte, nicht das Interesse an der Bipolarität, die das Individuelle und Zufällige ausklammert, und das Repräsentative hervorhebt, was er noch mit seiner Puškin-Biographie ver-folgte, wird in den Blick genommen, sondern das Irreguläre und Zufällige: Im Aufsatz „Klio na rasput´e“ geht er mit der traditionellen Geschichtswis-senschaft ins Gericht:

„Die Geschichte gesellschaftlicher Institutionen, des Kampfes sozialer Kräfte, ideologischer Richtungen ersetzt offenbar die Geschichte der Menschen und weist letzteren die Rolle von Statisten im weltweiten Menschheitsdrama zu [...] Hinzu kommt, daß die wissenschaftliche Methodologie meistens als Abkehr vom ´Zufälligen´, und ´Individuellen´ in die Erforschung des ´Menschen in der Ge-schichte´ einfließt. Es gehört sich, daß, um Gegenstand geschichtswissenschaftli-cher Analyse zu werden, der Mensch als Vertreter betrachtet werden muß - der ´Bojarenopposition´ oder des ´Landvolkes´, des ´Barock´ oder der ´Romantik´. Das, was ihn von anderen ´Vertretern´ seiner Kategorie unterscheidet, liegt außer-halb der Geschichtswissenschaft [...] So stellt die Geschichtswissenschaft das Ge-setzmäßige dem Zufälligen gegenüber und erklärt [...] das erstere zu ihrem Ge-genstand [...] Jedoch ist nicht zu übersehen, daß das Gesetzmäßige sich in der Geschichte [...] einigermaßen unerwartet benimmt und uns vor schwer zu erklä-rende Paradoxa stellt.“ [45]

Damit wird der Hegelsche Geschichtsdeterminismus verabschiedet und durch ein Modell, Geschichte als offene Versuchsanordnung zu betrachten, ersetzt.

Man könnte den Aufsatz als eine Korrektur der den Semiotikern eigenen Wissenschaftsprämissen verstehen:

„Zur gleichen Zeit, da die Wissenschaft vom Menschen, so die Kultursemiotik, nach Gesetzmäßigkeiten des kulturellen Prozesses sucht und bestrebt ist, die Na-tur der gegen die Entropie gerichteten Mechanismen der Geschichte zu erkennen, sind vom anderen Ende des Tunnels mächtige Explosionen zu hören [...] Das Bild der Welt wird ungeheuer kompliziert, und die Kunstwissenschaft, die Kulturwis-senschaft, ja die Wissenschaft vom Menschen insgesamt verlassen ihr Dasein an der wissenschaftlichen Peripherie und werden zum allgemeinwissenschaftlichen methodologischen Übungsplatz.“

Geschichte wird nicht mehr als „Knäuel, das sich in einen unendlichen Fa-den abrollen läßt“, sondern als „Lawine sich selbst entwickelnder lebendi-ger Materie“, begriffen. In den Blick geraten nun die Kreuzwege, die Alter-nativen, die Wahlmomente, in denen nicht vorausgesagt werden kann, wo-hin die Entwicklung geht.[46]

Der Kreuzweg jedoch stärke den „menschlichen Faktor“ (ein Begriff aus der Perestrojka-Zeit!), „Intellekt und Persönlichkeit des Menschen treten ins Geschehen ein und treffen ihre Wahl.“ [47]

Die Konsequenzen des Projekts, das Lotman hier in Umrissen skizziert, können an dieser Stelle nicht erörtert werden. Erwähnt werden soll zumin-dest sein Versuch, die Untersuchung der Zufallsfaktoren nun wiederum in eine (naturwissenschaftliche) Systematik zu bringen. Lotman benutzt dazu das Modell der „Bifurkation“ und „Fluktuation“ des aus Rußland stammen-den belgischen Chemikers Il’ja Prigožin, das er im Klio-Aufsatz so zusam-menfaßt:

”Gelangt ein evolutionäres System an einen Bifurkationspunkt, läßt sich eine de-terministische Beschreibung nicht mehr anwenden. Die Fluktuation zwingt das System, sich für einen Abzweig zu entscheiden, entlang dessen sich die weitere Evolution des Systems vollziehen soll. Eine Weiterentwicklung durch Bifurkation ist ein ebenso zufälliger Prozeß wie das Werfen einer Münze.“ [48]

Doch diese Versuche einer Systematisierung des Zufalls bleiben die Aus-nahme. Es ist unverkennbar: Die Hinwendung zu einem Kulturmodell, das die Individualität, die moralische Verantwortung des Einzelnen, die Rolle des „subjektiven Faktors“ für den Verlauf von Geschichte ins Zentrum stellt, d.h. die Abweichung von der Regel, bedeutet einen Abschied von der systemhaften Semiotik der siebziger Jahre.

Lotmans Fokus war immer von den aktuellen Problemen seiner Zeit be-stimmt: Erst von der Sowjetzeit, dann von der Perestrojka - die postsowjeti-sche Ära hat er nur eine kurze Zeit erlebt. Ob er sein „Vzryv“-Konzept wei-ter ausgeführt hätte, weiß man nicht, aber die Richtung, in die es weist, hat nur noch wenig mit dem Konzept der siebziger Jahre zu tun.



Zusammenfassung


Die Kultursemiotik konstruierte die Vergangenheit Rußlands aus der „teil-nehmenden Beobachtung“ ihrer sowjetischen Gegenwart. Auch wenn sie sich methodologisch vom mainstream der sowjetischen Wissenschaft ab-koppelte, blieb sie sowohl in der Wahl ihrer Gegenstände als auch in der Ausbildung ihrer Methodik auf sie bezogen. Sie figurierte als das Andere, der Gegenpol in diesem System. Sie bediente sich einer eigenen Sprache und erfüllte damit das von Lotman postulierte Prinzip der Zweisprachigkeit („dvujazyèie“), das das Funktionieren jeder Kultur garantiert. Daß sie mit der Hervorbringung einer „Antikultur“, ihrer eigenen Prämisse zufolge, sys-temstabilisierend gewirkt hat, gehört zu den Paradoxien ihrer Existenz. Nach Bekunden Lotmans wollten die Semiotiker ja in der Tat nicht das Sys-tem sprengen, sondern sich lediglich „aus dem Reich der NICHT-WISSENSCHAFT in das Reich der WISSENSCHAFT“ begeben. [49]

Eine vordergründige Aktualisierung der Geschichte bedeutete das nicht. Sowohl Lotman als auch Uspenskij und die anderen Mitglieder der Gruppe sind Philologen und Linguisten reinsten Wassers, und ihre Erkenntnisse über Kodifizierungen und Strukturen, die als kennzeichnend gelten können, bleiben die unbestrittene Leistung dieser Schule. Die Brisanz ihrer Methode lag m.E. eben darin, daß sie die Kontinuitäten eines kulturellen Denkmo-dells vorgeführt haben, das seine im Mittelalter ausgebildete Gestalt bis in die sich so neu und revolutionär gebärdende Gegenwart bewahrt hat. Die dichotomische Überschaubarkeit des Modells legte relativ einfache Ord-nungsmuster nahe; die axiologische Ordnung schien geregelt: Gut und Böse tauschten zwar gelegentlich ihre Plätze, aber sie waren doch als solche identifizierbar, Oppositionen nicht nur beschreibbar, sondern auch bewert-bar. Das galt vor allem für Staat und Mensch, Macht und Menschlichkeit, Tyrannei und Freiheit. Mit dem Ende der Sowjetunion war die modellhafte Überschaubarkeit nicht mehr herzustellen. Lotman reagierte mit „Kul’tura i vzryv“, und vielleicht hat er damit auch das Ende der Kultursemiotik ge-meint, die in diese „Explosion” ebenso hineingeraten ist, wie die Kultur insgesamt.

Sein Auftritt vor Studenten der Tartuer Universität 1990 klingt wie ein Abschied und zugleich ein Neuanfang. Er fordert die jungen Forscher auf, die alten Wege zu verlassen und neue zu finden, um das Alte, Bekannte neu zu entdecken. Dabei ist er bereit, die Grundlage seiner bisherigen Methode in Frage zu stellen, indem er sich Gegenständen zuwendet, die der semioti-schen Betrachtung - zumindest in dem von ihm präferierten, Saussure und Jakobson folgenden linguistisch geprägten Kommunikationsmodell - nicht zugänglich sind, etwa die Welt der Insekten und der sprachlosen Natur. Der Prozeß der Semiotisierung selbst wird damit als unzureichend für die Be-schreibung der Beziehung zwischen Mensch und Welt bewertet:

„Die Kühnheit des Forschers veranlaßt ihn, einen neuen Weg zu suchen, sich in völlig neues Material zu vertiefen [...] Eines Tages haben wir uns zu unserer eige-nen Bequemlichkeit ausgedacht, daß die Menschen denken und die Tiere nicht. Wir konstruierten uns das Tier [...] Wir schufen das Bild des Tieres, da die semio-tische Struktur die nicht-semiotische benötigt, so wie die Nation die Nicht-Nation benötigt, wenn sie sich ein Feindbild konstruiert. Und wir haben die Tiere ver-nichtet [...] Indem wir glauben, daß wir die Denkenden sind, vernichten wir die Nicht-denkenden, wir die Kultur-vollen vernichten die Kultur-losen!

Die Semiotik erschafft die nichtsemiotische Welt. Es ist müßig anzunehmen, daß wir von Natur aus von nicht-semiotischer Kultur umgeben sind, in der der See der Kultur ruht. In Wirklichkeit sind wir von der nicht-semiotischen Welt umge-ben, aber wir sehen sie nicht. Wir sehen die Welt, die wir erschaffen - die semioti-sche Welt der nicht-semiotischen Welt. Aber wie kann man sich aus den Grenzen der Semiotik befreien? [...] Das sind Fragen, auf die wir jetzt noch keine Antwort haben.“ [50]

Es überschreitet die Grenzen des Aufsatzthemas, der Frage nachzugehen, inwieweit die andere, von Pierce vertretene Auffassung von Semiotik, die nicht vom linguistischen Zeichensystem, d.h. vom Saussureschen Dualis-mus von langue und parole, ausgeht, sondern vom Zeichen an sich, die auch nicht intelligible Phänomene der Natur als Sender von Botschaften zu berücksichtigen in der Lage ist, besser gerüstet ist, die Lotmanschen Fragen zu beantworten. [51] Für Umberto Eco z.B. war eben die eingeschränkte Anwendbarkeit des Saussureschen Modells zur Beschreibung von „seman-tischen Feldern“, die für ihn weiter gesteckt sind, als die künstliche, d.h. vom Menschen erschaffene Semiosphäre im Lotmanschen Sinne, der Grund, das Modell von Pierce dem Saussureschen vorzuziehen. [52] Auch Michael Fleischer plädiert seit längerem für ein offenes Kommunikations-modell, das dem biologischen System-Begriff folgt und mit Pierce das Zei-chen und den Empfänger (Interpreten) ins Zentrum stellt, dessen Charakter die Irreversibilität, die Nichtrückkehr in den ursprünglichen Zustand ist. Geschlossene Systeme weisen nach dieser Theorie kein Verhalten auf, das heißt keine neue Information, sie können sich nur selbst beschreiben. [53] Allerdings sind in Fleischers Ansatz zwar einerseits die von Lotman als „Unvorhersagbarkeit“ klassifizierten „Schwankungen und Fluktuationen“ der Systemelemente von Anfang an berücksichtigt, [54] doch weist sein System einen starken hermeneutischen Zug auf, der zweifellos gerade nicht im Erkenntnisinteresse der sowjetischen Kultursemiotiker lag. Den letzteren ging es wohl mehr darum, ihr eigenes geschlossenes System zu beschreiben, bei dem der Sender eine nicht zu vernachlässigende Größe darstellt. So ist es wohl auch zu erklären, daß Lotman diese Variante der Semiotik auch in seinen späten Arbeiten nicht in Betracht zieht. [55] Das unterstreicht einmal mehr, daß es ihm nicht um Semiotik als Theorie ging, sondern um Semiotik als Methode, die ein bestimmtes Ziel verfolgte: nämlich die be-kannten (traditionellen) Gegenstände der (russischen) Philologie im Rah-men ihres Eingebundenseins in das relativ geschlossene System der russi-schen/sowjetischen Kultur zu beschreiben, nicht auf der Ebene der Seman-tik (und Hermeneutik) zu verweilen, sondern in die sie steuernden Mecha-nismen des Kommunikations- und Machtsystems einzudringen.


.[1] Koschmal, Walter: Christa Ebert (Hg.) Kulturauffassungen in der literarischen Welt Rußlands. In: Zeitschrift für Slavische Philologie, Band LVI, 1997, S. 229.

[2] „Die von uns erlebte Zeit ist eine Zeit der Bilanzen, eine Zeit der Enden“. In: Ebert, Christa (Hg.): Kulturauffassungen in der literarischen Welt Rußlands. Berlin 1995, S. 8.

[3] Ju. M. Lotman i tartusko-moskovskaja semiotièeskaja škola [Ju. M. Lotman und die Tartuer und Moskauer Semiotiker Schule]. Moskva 1994, S. 277-278.

[4] Zenkin, S: Boj s ten´ju Lotmana [Der Kampf mit Lotmans Schatten]. In: Novoe litera-turnoe obozrenie, Heft 53, 2002, S. 340.

[5] Bogomolov, N. A.: Poslanie iz Pribaltiki. [Sendschreiben aus dem Baltikum]. In: No-voe literaturnoe obozrenie, Nr.52, 2002, S. 372.

[6] Eimermacher, Karl (Hg.): Semiotica sovietica 1, Aachen 1986, S. 115.

[7] Vgl. z.B.: Eimermacher, Karl (Hg.): Semiotica Sovietica. Aachen 1986; Ivanov, Vjaèes-lav Vs.: Einführung in allgemeine Probleme der Semiotik. Eigeleitet und herausgegeben von Wolfgang Eismann. Tübingen 1985; Städtke, Klaus (Hg.): Kunst als Sprache. Leip-zig 1981; Fleischer, Michael: Die sowjetische Semiotik. Theoretische Grundlagen der Moskauer und Tartuer Schule. Tübingen 1989; Grzybek, Peter: Studien zum Zeichenbegriff der sowjetischen Semiotik. Bochum 1989; Poèepcov, G. G.: Russkaja semiotika [Russische Semiotik], Vakler 2001; Peter Grzybek nennt die Methode zu Recht „angewandte Semiotik im Morris´schen Sinne“, die nicht den Anspruch erhebt, einen eigenen Zeichen-begriff (im Pierce´schen Sinne) zu entwickeln. (a.a.O. S. 314).

[8] Zenkin, S.: Boj s ten´ju Lotmana. In: NLO 53, 2002, S. 340.

[9] In: Poetica, Band 9, Heft 1, 1977, S. 1.

[10] Ebenda, S. 39.

[11] Städtke, Klaus (Hg.): Kunst als Sprache, a.a.O., S. 447.

[12] Damit ist nicht in Abrede gestellt, daß die Semiotiker-Gruppe ein authentisches Inte-resse an der historischen Rekonstruktion hatte, wie Klaus Städtke in seinem die Leistungen dieser Gruppe für die Beschreibung des Modells der russischen Kultur würdigenden Aufsatz The Concepts of ´Opposition´ and ´Interference´ in Soviet Cultural Semiotics, Znakolog. An International Yearbook of Slavic Semiotics, Heft 1. Bochum 1989, S. 101-112, feststellt.

[13] Lotman Ju./Uspenskij, B.: Die Rolle dualistischer Modelle in der Dynamik der russi-schen Kultur (bis zum Ende des 18. Jahrhunderts). In: Poetica, Band 9, Heft 1, 1997, S. 1-40, hier S. 3.

[14] Ebenda.

[15] „...eine synthetische Form dafür hat Antioch Kantemir gefunden: Die weisen Erlasse Peters gibt man nicht aus den Händen, / Durch die wir plötzlich ein neues Volk geworden sind [...]“ Ebenda, S. 26-27.

[[16] „Cultural change was regarded as the introduction of a new type of communication, an act of re-writing rules and re-interpretations of texts...“ (Städtke, Klaus: The Concepts of ´Opposition´ and ´Interference´ in Soviet Cultural Semiotics, a. a. O. S. 106).

[17] Vgl. den Aufsatz Semiosfera (semiotièeskoe prostranstvo), in: Lotman, Ju. M.: Semiosfera. Kul´tura i vzryv. Vnutri mysljašèich mirov. Stat´i. Issledovanija. Zametki [Semio-sphäre. Kultur und Explosion. Im Innern der denkenden Welten. Aufsätze. Forschungen. Notizen]. Sankt-Petersburg 2000, S. 250-256.

[18] Uspenskij modifiziert diese These in dem bereits erwähnten Aufsatz über die Tartuer und Moskauer Semiotiker-Schule, indem er die Doppeltzentriertheit (dvucentrovost´) der russischen Kultur hervorhebt, d.h. das Zusammenführen zweier Zentren mit unterschied-lichen Traditionen, wie Kiev - Novgorod, Kiev - Moskau und Moskau - Sankt-Petersburg. In diesem Sinne interpretiert er auch die Semiotiker-Schule als Verbindung zweier Zentren (der linguistisch orientierten Moskauer Linie und der philologisch orien-tierten Tartu-Linie). In: Ju. M. Lotman i tartusko-moskovskaja semiotièeskaja škola, a.a.O. S. 268-269.

[19] Im Nachwort zur Edition von Prigov-Texten Der Milizionär und die anderen, (Leipzig 1992) schreiben die Herausgeber Günter Hirt und Sascha Wonders: „Die Schule des Moskauer Konzeptionalismus leitet mit ihrer Methode einer teilnehmenden Semiotik (einer Semiotik von innen) ein neues Stadium der Selbstreflexion der sowjetischen Kultur [...] ein.“ (S. 195).

[20] Gasparov, B. M.: Tartuskaja škola 1960-ch godov [Die Tartuer Schule in den 60er Jahren]. In: Ju. M. Lotman i tartusko-moskovskaja semiotièeskaja škola, a.a. O., S. 292.

[21] Ebenda, S. 293.

[22] Ebenda, S. 294.

[23] Lotman, Ju. M.: Besedy o russkoj kul´ture. Byt i tradicii russkogo dvorjanstva (XVIII-naèala XIX veka), [Gespräche über russische Kultur, Alltag und Traditionen des russi-schen Adels (18.-Anfang 19. Jahrhundert)]. Sankt-Peterburg 1994, S. 10.

[24] Ebenda, S. 12.

[25] Vgl. Tezisy k semiotike russkoj kul´tury (programma izuèenija russkoj kul´tury) [The-sen zur Semiotik der russischen Kultur (Programm zur Erforschung der russischen Kul-tur)]. In: Ju. M. Lotman i tartusko-moskovskaja semiotièeskaja škola, a.a.O. S. 416.

[26] Die Rolle dualistischer Modelle in der russischen Kultur, a.a.O. S. 3.

[27] Kul´tura i vzryv (Kultur und Explosion). In: Lotman, Semiosfera... a.a.O., S. 141-142.

[28] Ebenda, S. 142.

[29]Ebenda.

[30] Ebenda, S. 146.

[31] „Die traditionelle Forschung stellt sich die Kultur als einen geordneten Raum vor. Das tatsächliche Bild ist weitaus komplizierter und ungeordneter.“ Ebenda, S. 30; vgl. auch S. 117-118.

[32] Brigitte Obermayer schlägt zur Bezeichnung und Diskussion dieses Phänomens unter dekonstruktivistischer Perspektive den Neologismus „KulturAlogie“ vor. Vgl. dies.: Der Verlust der Exter(r)i(t)orität. Binäres Modelldenken der Moskau-Tartuer Kultursemiotik und die postmoderne Konstellation der sowjetischen Kultur vom Anfang der 1970er bis Ende der 1980er Jahre. In: Parnell, Christina (Hrg.): Ich und der/die Andere in der russi-schen Literatur. Frankfurt a.M., Berlin, Bern usw., 2002, S. 70.

[33] Vgl. z.B. Lotman, Jurij: Klio am Scheideweg, in: Kopfbahnhof: Almanach 2: Das falsche Dasein. Sowjetische Kultur im Umbruch. Leipzig 1999, S. 135-147, hier S. 143.

[34] Uspenskij, B.: K probleme genezisa tartusko-moskovskoj semiotièeskoj školy (Zur Genesis der Tartuer und Moskauer Semiotiker Schule. In: Ju. M. Lotman i tartusko-moskovskaja semiotièeskaja škola, a.a. O., S. 277.

[35] Lotman, Juri: Alexander Puschkin, Leipzig 1989, S. 5.

[36] Ebenda, S. 14.

[37] Egorov, B.: Liènost´ i tvorèestvo Ju. M. Lotmana ( Persönlichkeit und Schaffen Ju. M. Lotmans). In: Lotman, Ju. M.: Puškin. Sankt-Peterburg 1995, S. 15.

[38] Lotman, Jurij M.: Sotvorenie Karamzina [Die Erschaffung Karamzins]. Moskva 1987, S. 16.

[39] Ebenda.

[40] Fenomen iskusstva. (Das Phänomen der Kunst). In: Kul´tura i vzryv, a.a.O., S. 133.

[41] Ebenda, S. 131.

[42] Ebenda.

[43] Vgl. den Aufsatz Semiosfera (ponjatie granicy). In: Lotman, Ju. M.: Semiosfera... a.a. O., S. 257-268.

[44] Zimnie zametki o letnich školach [Winterliche Bemerkungen über Sommerschulen]. In: Ju. M. Lotman i tartusko-moskovskaja semiotièeskaja škola, a.a.O., S. 296.

[45] ”Klio am Scheideweg”, a.a.O., S. 139-140.

[46] Ebenda, S. 143-144.

[47] Ebenda, S. 144.

[48] Ebenda, S. 144.

[49] Zimnie zametki o letnich školach. In: Ju. M. Lotman i tartusko-moskovskaja semiotičeskaja škola, a.a.O., S. 297.

[50] Lotman, Jurij: Èem dlinnee projden put´, tem men´še verojatnostej dlja vybora. (Je länger der zurückgelegte Weg, desto geringer die Aussicht auf Wahl). In: Ebenda, S. 458.

[51] Vgl. dazu z.B. Fleischer, Michael: Die sowjetische Semiotik. Theoretische Grundlagen der Moskauer und Tartuer Schule. Tübingen 1989; Grzybek, Peter: Studien zum Zeichenbegriff der sowjetischen Semiotik (Moskauer und Tartuer Schule). Bochum 1989.

[52] Eco, Umberto: Einführung in die Semiotik, UTB. München 1991 (7. unv. Aufl.), S. 28-31.

[53] Michael Fleischer, Systemtheoretischer Entwurf des Kommunikationsprozesses in: Znakolog, Heft 2. Bochum 1990, S. 102-133; In seiner Untersuchung: Hund und Mensch. Eine semiotische Analyse ihrer Kommunikation stellt sich Fleischer dem Problem, sein semiotisches Modell auch auf Tiere zu übertragen, wobei zu konzedieren ist, daß sich der vom Menschen abgerichtete und mit ihm kommunizierende Hund zweifellos für eine solche Analyse besser eignet, als das von Lotman erwähnte Insekt.

[54] Fleischer stützt sich ebenfalls wie der späte Lotman auf Ilja Prigožin (Ilya Prigogi-ne/Isabelle Stenglers Dialog mit der Natur. Neue Wege naturwissenschaftlichen Denkens. München 1981).

[55] Auch in seinen späten Arbeiten hält er am Saussureschen System fest; eine fundamen-tale Auseinandersetzung mit Pierce findet nicht statt. Uspenskij begründet in seinem Auf-satz über die Tartuer und Moskauer Semiotiker-Schule die Präferenz für das Saussuresche Modell damit, daß er und der Moskauer Zweig der Gruppe aus dem Bereich der Linguis-tik kommt, und daß sie sich vor allem für die Beziehungen zwischen den Zeichen, nicht für die Semantiken der Zeichen interessierten. In: Ju. M. Lotman i tartusko-moskovskaja semiotièeskaja škola, a.a.O., S. 273.